Hier führen wir nun eine analytische Hilfskonstruktion ein, deren Haltbarkeit
leicht nachzuprüfen ist, da alle Glieder der Vorstellungskette in anderem Zu-
sammenhang aufgezeigt worden sind. Uns scheint, die Zwittervorstellung ist
etwa so verankert: in jedem Lebewesen herrscht das Verlangen nach dem anderen
Geschlecht, als Grundtrieb immerfort, alles durchdringend — sind aber zwei
vereinigt, so will das Weib die Vorhand haben — ist einer für sich, so wird die
Unruhe noch größer — wie, wenn nun Doppelwesen das weibliche und männ-
liche Prinzip in sich trügen, dem Drange entrückt wären und dem Machtstreben
des anderen Teils? so nur kann man sich auch höhere Wesen vorstellen. Auf
dem Grunde solches affektiv betonten Vorstellungsspieles mag dann eine Einzel-
erinnerung fast sinnliche Deutlichkeit und Intensität gewinnen — jedenfalls
wird die beherrschende Rolle dieses Vorstellungskomplexes kaum ohne einen
solchen Versuch, die affektive Grundlage aufzudecken, einigermaßen verständ-
lich zu machen sein. Und hier an der Unmöglichkeit einer Deutung festzu-
halten, darf man sich nicht mehr gestatten, außer einem Dogma zuliebe.
Es bleibt noch übrig die Äußerungen Brendels über Christus als Gekreuzigten
zu vereinigen und auf ihren tieferen Sinn zu prüfen. Da ist vor allem voraus-
zuschicken, daß Christus durchaus nicht so sehr als Gottmensch oder Re-
ligionsgründer im Sinne der Kirche aufgefaßt wird, sondern vielmehr als Re-
präsentant einer höheren Menschenart, die aber alle Eigenschaften und Leiden
des Menschen in gesteigertem Maße besitzt. Auf der anderen Seite identifiziert
Brendel sich selbst, wie das bei Schizophrenen ganz gewöhnlich ist, in seinen
Wahnvorstellungen mit Fürsten, Königen und auch mit Christus. Nur haben
wir in diesem Falle, wo er seinen eigenen abgeänderten Christus besitzt, viel
anschaulicher die psychologische Einbettung dieser Identifikation in direkte
Parallelvorgänge und Eigenschaften: wie Christus fühlt er sich geopfert, der
weltlichen Macht schutzlos preisgegeben, obwohl er sich im Besitz überirdischer
Kräfte weiß, Menschen mittels eines Sonnenstrahles hinrichten kann, sie frei-
sprechen, wenn sie bereuen u. dergl. Umgekehrt projiziert er in dieses ihm so
nah verwandte Christusbild die eigenen Gefühlserlebnisse und Triebe, vor allem
die sexuelle Bindung, die er nun als Forderung formuliert. „Zu jedem Jesus
gehört eine Jesin", ,,er ist ganz wie wir". Der Christuszwitter würde sich dann
aufbauen aus dieser für ihn jetzt unerfüllten Forderung nach dem ergänzenden
Weibe und der utopischen Wunschphantasie; wäre nicht alles gut, wenn Mann und
Weib in einem Körper vereinigt wären, wodurch der Kampf um die Vorhand
aufhören würde und der sexuelle Drang des Suchens überhoben wäre? Wenn
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leicht nachzuprüfen ist, da alle Glieder der Vorstellungskette in anderem Zu-
sammenhang aufgezeigt worden sind. Uns scheint, die Zwittervorstellung ist
etwa so verankert: in jedem Lebewesen herrscht das Verlangen nach dem anderen
Geschlecht, als Grundtrieb immerfort, alles durchdringend — sind aber zwei
vereinigt, so will das Weib die Vorhand haben — ist einer für sich, so wird die
Unruhe noch größer — wie, wenn nun Doppelwesen das weibliche und männ-
liche Prinzip in sich trügen, dem Drange entrückt wären und dem Machtstreben
des anderen Teils? so nur kann man sich auch höhere Wesen vorstellen. Auf
dem Grunde solches affektiv betonten Vorstellungsspieles mag dann eine Einzel-
erinnerung fast sinnliche Deutlichkeit und Intensität gewinnen — jedenfalls
wird die beherrschende Rolle dieses Vorstellungskomplexes kaum ohne einen
solchen Versuch, die affektive Grundlage aufzudecken, einigermaßen verständ-
lich zu machen sein. Und hier an der Unmöglichkeit einer Deutung festzu-
halten, darf man sich nicht mehr gestatten, außer einem Dogma zuliebe.
Es bleibt noch übrig die Äußerungen Brendels über Christus als Gekreuzigten
zu vereinigen und auf ihren tieferen Sinn zu prüfen. Da ist vor allem voraus-
zuschicken, daß Christus durchaus nicht so sehr als Gottmensch oder Re-
ligionsgründer im Sinne der Kirche aufgefaßt wird, sondern vielmehr als Re-
präsentant einer höheren Menschenart, die aber alle Eigenschaften und Leiden
des Menschen in gesteigertem Maße besitzt. Auf der anderen Seite identifiziert
Brendel sich selbst, wie das bei Schizophrenen ganz gewöhnlich ist, in seinen
Wahnvorstellungen mit Fürsten, Königen und auch mit Christus. Nur haben
wir in diesem Falle, wo er seinen eigenen abgeänderten Christus besitzt, viel
anschaulicher die psychologische Einbettung dieser Identifikation in direkte
Parallelvorgänge und Eigenschaften: wie Christus fühlt er sich geopfert, der
weltlichen Macht schutzlos preisgegeben, obwohl er sich im Besitz überirdischer
Kräfte weiß, Menschen mittels eines Sonnenstrahles hinrichten kann, sie frei-
sprechen, wenn sie bereuen u. dergl. Umgekehrt projiziert er in dieses ihm so
nah verwandte Christusbild die eigenen Gefühlserlebnisse und Triebe, vor allem
die sexuelle Bindung, die er nun als Forderung formuliert. „Zu jedem Jesus
gehört eine Jesin", ,,er ist ganz wie wir". Der Christuszwitter würde sich dann
aufbauen aus dieser für ihn jetzt unerfüllten Forderung nach dem ergänzenden
Weibe und der utopischen Wunschphantasie; wäre nicht alles gut, wenn Mann und
Weib in einem Körper vereinigt wären, wodurch der Kampf um die Vorhand
aufhören würde und der sexuelle Drang des Suchens überhoben wäre? Wenn
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