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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Marginalien
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0233

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Fallada und Fleisser. Hans Fallada und Marieluise Fleisser repräsentieren eine jüngere
deutsche Generation, er den Norden, sie den Süden, beide als Erzähler erlebter Wirk-
lichkeiten. Der geographische Gegensatz bringt es mit sich, daß Fallada politischer,
die Fleisser erotischer impressioniert und interessiert ist. Aber beide sind das, was
man früher „Schollendichter" nannte, und was man jetzt besser Scheunendichter
nennen könnte: beide leben vom Albdruck ihrer Kleinstädte, Fallada von Neumünster,
die Fleisser von Ingolstadt. Die Erlösung von diesen Albdrücken verschafft uns das
Vergnügen zweier prächtiger Bücher: Bauern, Bomben, Bonzen (Rowohlt-Verlag) ist
der norddeutsche Roman der politisierten Kleinstadt, des Landvolks und der Land-
gerichtsbarkeit; Mehlreisende Frieda Geyer (Verlag Kiepenheuer), ein „Roman vom
Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen", die Geschichte der sportivierten süddeut-
schen Kleinstadt. Die Parallele geht weiter und begreift auch den Stil dieser beiden
Bücher in ihrer Gegensätzlichkeit, die sich aber gemeinsam vom herrschenden Roman-
stil ausnimmt: denn weder der F. noch die F. erzählen nach epischer Art; vielmehr
kommt er in seinem dicken Roman fast ohne indirekte Darstellung aus, er schreibt
nichts als Dialog — während sie kaum ein Gespräch direkt wiedergibt, sondern alles
in indirekter Erzählung. Das wäre nicht weiter neu, aber diese ihre indirekte Er-
zählung hat die teuflische Art einer doppelten Subjektivität in sich: der selbstver-
ständliche Konjunktiv der Wiedergabe verwandelt sich da in einen vulgären Indikativ,
von dem man nicht mehr weiß, ob er Satire, Ironie oder tiefere Bedeutung ist. So
treten beide F. unschuldig hinter ihre Werke: er läßt seine Leute sprechen und er-
greift keine Partei, sie aber ist jeden Augenblick parteiisch und hält es mit allen, so
daß ihre wahre Meinung nicht zu fassen ist. Kerle beide. V. W.'
Lernet Holenia, ohne zu klagen! — sagte einst ein leichtfertiger Witzbold, als der
Name Alexander Lernet-Holenia zum erstenmal auftauchte, auf dem Titel des rapiden
Schwankes „Ollapotrida". Wir haben inzwischen diesen teils französischen, teils
kärntnerischen Namen als Autor höchst kunstvoller Gedichte, turbulenter Lustspiele,
tieferer Komödien gelernt und wahrhaftig nicht zu klagen gebraucht. Die viel-
gewandte, dabei brillante und elegante Begabung Lernets erweist sich auch in seinem
ersten Roman Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, der im Format eines
Taschenbreviers im Verlag Gustav Kiepenheuer erschien. Im Bette liegend und dieses
Büchlein lesend, mit der linken Hand es haltend, greift man mit der rechten zu
Papierstreifen, um sie in jene Blätter zu legen, wo man gern verweilte. Als ich in
selbiger Nacht am Ende der spannenden Erzählung war, starrte mein Exemplar von
weißen Lanzen, die überall aus dem kleinen Band herausschauten. Man kann sich
demnach denken, wie viele markante Punkte im Verlauf dieser Geschichte zum Auf-
enthalt reizen: teils überraschende, dennoch herbeigeahnte Kurven der Handlung,
teils auch die Form, mit der sie mitgetcilt werden, Lernet-Holenias Erzähl-Stil. Der
junge Herr in Polen ist ein frischer deutscher Leutnant, der als einheimisches Bauern-
mädchen auftritt, um nicht hinter der Kriegsfront gefangengenommen oder gar als
Spion erschossen zu werden; und es ist klar, daß ein so hübsches und intelligentes
Mädchen in erotische Verwicklungen gerät. Die taktvolle Nonchalance, mit der diese
Verwicklungen und Abenteuer vorgetragen werden, sind vorbildliche Novellistik, und
manche neudeutsche Naturalisten, die sich in der Schilderung peinlicher Details nicht
genug tun können, könnten davon lernen. Ein berühmtes Wort von Liebermann be-
währt sich hier wiederum: „Zeichnen ist Weglassen." Hinter dem saloppen Vortrag
stecken aber auch tiefere Bedeutungen. Wie witzig ist z. B. (ich ziehe ein beliebiges
Lesezeichen) der Einfall, eine Renaissance der polnischen Bäuerinnen-Tracht dem
Justament unseres verkleideten deutschen Offiziers entspringen zu lassen, der auch als
Zofe feiner Komtessen das Nationalkostüm nicht ablegen will, einfach aus dem
Grunde, weil es ihm eher ermöglicht, unterm Kopftuch das Haar, unterm Kleid die
Pistole zu verbergen! V. W.

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