Ursachen desselben.
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fortan zur Schule wurde, welche nicht bloss die Entwickelung grossartiger
Gedanken, einer strengen und würdevollen Haltung des Einzelnen, sondern
ebenso sehr die Ausbildung des Handwerklichen, Gewandtheit und Sicher-
heit der Technik beförderte.
Dieser enge Zusammenhang mit der Architektur erklärt es, dass die
Plastik eine Zeit lang hinter den Leistungen der Malerei zurückblieb; sie
musste sich an die heilsame Zucht gewöhnen, welche die Baukunst auf sie
ausübte, um dann erst, seitdem die Bildner sich frei und sicher in den
gegebenen Verhältnissen bewegten, den Zwang der traditionellen Formen
zu beseitigen und sich zu einer freien und naturwahren Richtung empor-
zuschwingen.
Aber es galt noch ein anderes Hinderniss zu beseitigen, von dem die
Malerei in ihrem Entwickelungsgange unbehelligt blieb, das waren die tech-
nischen Schwierigkeiten, die so lange die Ausbildung eines höheren Stiles,
die Darstellung in voller körperlicher Rundung verzögerten. Die sämmt-
lichen Werke, welche die Plastik im Laüfe des XL und XII. Jahrhunderts
schuf, waren blosse Reliefs gewesen; selbst grössere Bildwerke, wie solche
gegen Ende des XII. Jahrhunderts an der Gallenpforte des Basler Mün-
sters angebracht wurden, und jenes Standbild Karls des Grossen in der
Stiftskirche zu Münster, das doch von jeher auf eine selbständige Stellung
angewiesen war, sind keine eigentlichen Statuen, sondern sie sind nur theil-
weise, in halber Rundung, aus den Pfosten und Wandungen herausgeschafft,
an denen sie als kräftige Reliefs zu kleben scheinen. Erst seit der Mitte
des XIII. Jahrhunderts etwa befreit sich die Plastik von diesem materiellen
Zwange und erhält dadurch die Fähigkeit, mit der Malerei zu concurriren,
ja dieselbe zu überflügeln.
Gleichzeitig erfolgten auch andere Fortschritte, die zum Theil mit den
Wandlungen des äusseren Lebens zusammenhingen, denn auch dieses war
anders geworden, reicher, beweglicher. Man legte Werth auf die Schön-
heit der Erscheinung, auf feine, ritterliche Sitten und trug sich in einer
Weise, die der künstlerischen Anschauung manche willkommene Motive bot.
Noch galt der kleidsame grosse Wurf der antiken Gewandung, der die
formen und Bewegungen des Körpers so schon zur Geltung bringt; aber
die Stoffe, die man trug, waren einfacher als früher; mit Ausnahme der
geistlichen Tracht, welche die prunkhafte byzantinische Ueberladung mit
Stickereien und Edelsteinen bewahrte, bediente man sich der schlichten, aber
grossfaltigen Wolle. Zu alledem gesellte sich endlich der freie und offene
Blick ins Leben. Wie unter den architektonischen Zierathen die aus der
Antike entlehnten Motive, der Akanthus und die von demselben abgelei-
teten Ornamente verschwinden und statt dessen die Freude an dem was
grünt und blüht sich in hundert anmuthigen Details bekundet, so äussert
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fortan zur Schule wurde, welche nicht bloss die Entwickelung grossartiger
Gedanken, einer strengen und würdevollen Haltung des Einzelnen, sondern
ebenso sehr die Ausbildung des Handwerklichen, Gewandtheit und Sicher-
heit der Technik beförderte.
Dieser enge Zusammenhang mit der Architektur erklärt es, dass die
Plastik eine Zeit lang hinter den Leistungen der Malerei zurückblieb; sie
musste sich an die heilsame Zucht gewöhnen, welche die Baukunst auf sie
ausübte, um dann erst, seitdem die Bildner sich frei und sicher in den
gegebenen Verhältnissen bewegten, den Zwang der traditionellen Formen
zu beseitigen und sich zu einer freien und naturwahren Richtung empor-
zuschwingen.
Aber es galt noch ein anderes Hinderniss zu beseitigen, von dem die
Malerei in ihrem Entwickelungsgange unbehelligt blieb, das waren die tech-
nischen Schwierigkeiten, die so lange die Ausbildung eines höheren Stiles,
die Darstellung in voller körperlicher Rundung verzögerten. Die sämmt-
lichen Werke, welche die Plastik im Laüfe des XL und XII. Jahrhunderts
schuf, waren blosse Reliefs gewesen; selbst grössere Bildwerke, wie solche
gegen Ende des XII. Jahrhunderts an der Gallenpforte des Basler Mün-
sters angebracht wurden, und jenes Standbild Karls des Grossen in der
Stiftskirche zu Münster, das doch von jeher auf eine selbständige Stellung
angewiesen war, sind keine eigentlichen Statuen, sondern sie sind nur theil-
weise, in halber Rundung, aus den Pfosten und Wandungen herausgeschafft,
an denen sie als kräftige Reliefs zu kleben scheinen. Erst seit der Mitte
des XIII. Jahrhunderts etwa befreit sich die Plastik von diesem materiellen
Zwange und erhält dadurch die Fähigkeit, mit der Malerei zu concurriren,
ja dieselbe zu überflügeln.
Gleichzeitig erfolgten auch andere Fortschritte, die zum Theil mit den
Wandlungen des äusseren Lebens zusammenhingen, denn auch dieses war
anders geworden, reicher, beweglicher. Man legte Werth auf die Schön-
heit der Erscheinung, auf feine, ritterliche Sitten und trug sich in einer
Weise, die der künstlerischen Anschauung manche willkommene Motive bot.
Noch galt der kleidsame grosse Wurf der antiken Gewandung, der die
formen und Bewegungen des Körpers so schon zur Geltung bringt; aber
die Stoffe, die man trug, waren einfacher als früher; mit Ausnahme der
geistlichen Tracht, welche die prunkhafte byzantinische Ueberladung mit
Stickereien und Edelsteinen bewahrte, bediente man sich der schlichten, aber
grossfaltigen Wolle. Zu alledem gesellte sich endlich der freie und offene
Blick ins Leben. Wie unter den architektonischen Zierathen die aus der
Antike entlehnten Motive, der Akanthus und die von demselben abgelei-
teten Ornamente verschwinden und statt dessen die Freude an dem was
grünt und blüht sich in hundert anmuthigen Details bekundet, so äussert