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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0594

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558

Aufschwung der bildenden Künste im XIII. Jahrhundert.

Blickes ihre Werke prüft und eine Sprache versteht, die uns in grossartigen
Compositionen die tiefsinnigsten Mysterien erschliesst.

Wahr ist es ferner, die Stoffe, aus denen der Bildner seine Gestalten
formt, sind von geringem Werthe; die Plastik des Mittelalters hat wenige
Marmorwerke hinterlassen, auch die Wahl und die Behandlung der Farben,
mit denen die Malerei sich behalf, sind weit entfernt, den Schöpfungen
derselben den Anschein der Wirklichkeit zu verleihen; man muss sich in
Allem mit einer symbolischen Andeutung des Gegenstandes be'gnügen und
einen starken handwerklichen Zug übersehen, der an diesen Leistungen
haftet. Das sind Gebrechen, die uns die Werthschätzung derselben erschweren;
und doch ist nicht zu leugnen, dass diese Mängel gerade in einer gewissen
Hinsicht zum Vorzüge wurden. Indem die Bildner und Maler auf einen
schroffen Realismus verzichteten und sich statt dessen in Stoff und Formen
mit einer symbolischen Andeutung begnügten, waren sie im Stande, das
richtige Maass der Unterordnung und damit die Rücksicht auf das Ganze
zu wahren. Der handwerkliche Betrieb erleichterte das Zusammenwirken
verschiedener Kunstgattungen und die Architektur hinwiederum kam ver-
möge ihres eigenthümlichen Systemes den darstellenden Künsten entgegen.
So entfaltete sich, trotz aller Mängel im Einzelnen, ein Bild der Einheit
und der Wechselwirkung aller Künste, wie es nur wenige und wahrhaft
grossartige Epochen darbieten.

ZWEITES KAPITEL.

IM XIII. JAHRHUNDERT.

Die Epoche des frühgothischen Stiles kann als die Blüthezeit der mittel-
alterlichen Plastik bezeichnet werden. Schon vorher hatte die Kunst eine
Wandlung durchgemacht, die gegenüber der absoluten Formlosigkeit des
XI. Jahrhunderts einen Fortschritt bekundete und sich besonders in der
häufigeren Beobachtung antiker oder wenigstens der römischen Epoche nahe-
stehender Werke äussert. Dieses Bestreben, das wir zumal in den Minia-
turen der vorigen Epoche gewahrten, hatte zur Folge, dass man wieder
einen grösseren Fleiss auf das Studium der natürlichen Proportionen ver-
legte, und dass, wenn vorläufig die Besserung auch bloss auf einer äusser-
lichen Regelmässigkeit und der Beobachtung traditioneller Recepte beruhte,
mithin eine geistige Durchbildung des Einzelnen noch nicht erreicht wurde,
so doch das Verständniss für die höhere Schönheit sich schärfte. Anderer-
seits entsprach gerade diese Regelmässigkeit den Bedürfnissen, denen die
Plastik zu genügen hatte, ihrer Unterordnung unter die Architektur, die
 
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