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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0288

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Sechstes Kapitel.

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Fall ist, durch eine schlanke Rundpyramide, die mit Buckelsteinen in ab-
wechselnd horizontalen und diagonalen Lagen bespickt wurde. Doch ist
auch hier, wie in Graubündten, zu berücksichtigen, dass manche Thürme
trotz ihrer alterthümlichen Erscheinung erst aus dem späteren Mittelalter,
zum Theil sogar aus der Renaissancezeit stammen, indem für dergleichen
Bauten das romanische System Jahrhunderte lang seine Geltung bewahrte.

SECHSTES KAPITEL.

PLASTIK UND MALEREI.

Es ist eine bekannte Thatsache, dass die Geschichte der frühmittel-
alterlichen Plastik und Malerei noch immer zu denjenigen Stellen gehört,
die trotz der emsigen Forschung ein Bild voller Lücken und Widersprüche
bieten. Wie frühere Forscher in dem Stande der bildenden Künste
während der Epoche des romanischen Stiles nur den Verfall und das
Ende der klassischen Ueberlieferung erblickten, eine Kluft, über die kein
Pfad die Schöpfungen der Antike mit dem Wiedererwachen der Kunst seit
dem XV. Jahrhundert verbindet, so treten noch heute für die weiteren
Kreise jene Leistungen in völliger Unterordnung zurück. Nur Rohheit und
Formlosigkeit erblickt hier das Auge, das an modernes Formenwesen und den
oft bis zum Uebermaasse herrschenden Realismus unserer Tage gewöhnt
ist. Die Formen romanischer Gestalten sind roh und in ihren gegen-
seitigen Verhältnissen willkürlich entstellt, die Köpfe ausdruckslos, über-
trieben gross und nur in den allgemeinen Umrissen hart und eckig heraus-
gearbeitet. Der Leib ist geschwollen, die Extremitäten sind verkümmert,
ihre Bewegungen entstellt, die Gewandmotive zwar nach antiker Weise ge-
ordnet, aber ohne Rücksicht auf den Körper und dessen Bewegungen in
schematischem Einerlei und sinnlosem Parallelismus wiederkehrend.

Und dennoch, wie tief gesunken die Kunst dieser Epoche erscheint,
man kann unmöglich annehmen, dass blosse Gedankenlosigkeit diese
Bildungen erzeugt habe und ebenso einseitig wäre es, wollte man die-
selben aus dem Standpunkte unserer modernen Kunstanschauungen be-
urtheilen. Eine jede Art der künstlerischen Wiedergabe setzt eine bestimmte-
Auffassung voraus, wie nun aber dieselbe bestimmt wird, durch die gei-
stige Richtung der Zeit und des Schöpfers, so kann der Maassstab, nach
dem jene Leistungen zu beurtheilen sind, unmöglich derselbe sein, den
wir unseren modernen Schöpfungen zu Grunde legen. Jene Erzeugnisse
romanischer Kunst sind, wie diejenigen unserer heutigen, das Resultat eines,
bestimmten Stiles, und dieser selbst, mit seinen Mängeln und seinen Vor-
 
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