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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0380

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Friihgothische Monumente.

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achteckige Hochbau, den nun, um das Schroffe eines plötzlichen Ueber-
ganges zu maskiren, eine reiche Gruppirung von Fialen umgiebt. Von
da an steigt das Ganze immer luftiger empor, ein Gerüste von offenen
Bögen und reichverzierten Wimpergen auf schlanken Stützen, von denen ein
neuer Kreis von Fialen aufstrebend den Fuss des Spitzhelms umgiebt.
Und auch dieser, in den älteren Bauten eine schmucklose steinerne
Pyramide, wird zunehmend reicher gebildet. Die Flächen werden durch-
brochen, die Kanten zu Rippen, die mit Krabben besetzt und durch
horizontale Stäbe mit einander verbunden sind. Dazwischen füllt steinernes
Maasswerk die Durchbrechungen, ein Spiel von künstlichen Formen,
zwischen denen das Blau des Himmels hindurchblickt, bis endlich der
Bau seine Spitze erreicht und aus derselben den letzten Sprössling, eine
mächtige Kreuzblume, zum Aether sendet.

DRITTES KAPITEL.

FRÜHGOTHISCHE MONUMENTE.

Die Geschichte der Frühgothik weist, wie diejenige der romanischen
Baukunst, verschiedene Phasen der Entwickelung: ein Beginnen mit herben
und strengen Formen, ein Reifen zur Kraft, die sich erst in gewagteren
Constructionen und einem bereicherten, doch maassvollen Schmucke äussert,
bald aber zu Prunk und Routine, zu jener Richtung führt, welche die
letzte Phase der Gothik, ihre Ausartung zum handwerklichen Schema-
tismus bezeichnet.

Wo immer die Gothik zur Herrschaft gelangte, ist diese dreifache
Abstufung zu gewahren: Der Frühgothik folgt der entwickeltere Stil des
XIV. und diesem eine allmälige Auflösung, die Spätgothik des XV. und
XVI. Jahrhunderts. Fast überall ist die Wandlung eine gleichzeitige, nur
die Erstlinge sind hier früher, dort später aufgetreten. Im Allgemeinen
jedoch, und das ist auch in der Schweiz zu beobachten, hat die Gothik
je näher der Heimath um so rascher ihren Eingang und eine um so reinere
Ausbildung gefunden. Während jenseits der Alpen romanische Formen
bis in die Spätzeit des Mittelalters ihre Geltung bewahrten und auch in
den deutschen Landestheilen ein halbromanischer Stil noch zu Ende des
XIII. Jahrhunderts seine Herrschaft behauptete, sind im Westen der Schweiz
die Anfänge der Gothik bereits im XII. Jahrhundert zu beobachten.

Besondere Umstände kamen allerdings hinzu, um hier die Ausbildung
des neuen Stiles zu befördern. So darf man nicht vergessen, dass in der
Westschweiz drei bischöfliche Sitze lagen, die in fortwährender Verbindung
 
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