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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0608

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572

Drittes Kapitel. Plastik und Malerei im XIV. Jahrhundert.

DRITTES KAPITEL.

IM XIV. JAHRHUNDERT.

Es ist schon früher der Wandlungen gedacht worden, die sich seit
Ende des XIII. und im Laufe des XIV. Jahrhunderts vollzogen. Ueberall
herrscht Kampf und Gährung, regt sich ein Drang nach Freiheit, der die
alten Institutionen erschüttert und das Werden neuer Zustände in Staat und
Kirche verkündet. Im Kampfe mit der Curie war das Kaiserthum erlegen
und bald auch den Sonderbestrebungen im eigenen Haushalte nicht mehr
gewachsen. Der ritterliche Adel hatte seine Bedeutung verloren; er war
bedrängt durch die freiheitslustigen Städter und der Macht beraubt, mit
der er in früherer Kampfweise den Ausschlag gegeben. Nichts blieb den
Vertretern dieses Standes, als ihre bevorzugte Stellung durch Schutz- und
Trutzbündnisse zu wahren und durch die Beobachtung äusserlicher, con-
ventioneller Formen, mit denen die Roheit und der freche Uebermuth, der
jetzt allgemein in diesen Kreisen zu herrschen begann, nur um so schroffer
contrastirte. Auch in dem kirchlichen Leben hatte sich eine Krisis ent-
wickelt. Die Allmacht der Päpste war durch das Exil von Avignon ge-
brochen, der Clerus verweltlicht und so tief gesunken, dass jetzt schon eine
gänzliche Reform der Kirchenverfassung die einzig denkbare Rettrfng ver-
hiess. Lind dennoch gab es eine Macht, in der ein frisches Leben wur-
zelte, das war das Bürgerthum, das eben jetzt seine Freiheit errungen,
diesen Sieg mit Klugheit nutzte und bald auch durch Wohlstand und Bil-
dung die höheren Stände überflügelte. In diesen bürgerlichen Kreisen zu-
nächst fand auch der göttliche Mahnruf Gehör, den man in den Schlag
auf Schlag hereinbrechenden Prüfungen erkannte. Mochte es wohl Ein-
zelne geben, w-elche die Ursachen dieser erschütternden Ereignisse „in der
Elemente Wirken, in des Himmels Lauf, in der Sterne Regieren“ suchten,
im Allgemeinen war doch das Bewusstsein grösser, dass man in solchen
Katastrophen die Wirkungen eines göttlichen Strafgerichtes zu erkennen
habe. Dichter drängte sich die Menge zu den Altären, immer häufiger
wurden die kirchlichen Stiftungen und bis zur Raserei trieben die Schaaren
der Geissler, die das Land durchzogen, ihre Uebungen der Busse. Noch
Andere und Bessere gab es, die unbefriedigt von dieser äusserlichen Buss-
fertigkeit die Rettung in völliger Selbstentäusserung suchten, in unabläs-
sigem Ringen nach dem Höchsten und in Uebungen der Andacht, in der
sich das schwärmerisch erregte Gemüth oft bis zum ekstatischen Schauen
erhob. Das waren die Gottesfreunde: Meister Eckhardt, Nicolaus von Basel
 
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