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Repertorium für Kunstwissenschaft — 9.1886

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Dahlke, Gotthilf: Romanische Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.66023#0195

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Romanische Wandmalereien in Tirol.

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Stirn und ergrauendem Bart, dieser in dem Liebreiz der Jugend, dem cyprischen
Jünger Barnabas, den die Apostelgeschichte als Wandergefährten Pauli, die Legende
als Bischof von Mailand und Märtyrer ehrt, dessen langgezogenes Gesicht mit
eckig begrenzten Wangen und breitem Kinn hier jedoch einen schwächlichen
Eindruck macht. Die beschatteten Augen sind verzogen, der Mund von Un-
muth erfüllt und das Antlitz lässt die ernste Würde und Verständigkeit des
Wanderapostels wie die anmuthvolle Form des jüngeren Gefährten vermissen,
dem ein Anflug trüber Wehmuth das Gepräge geistiger Vertiefung gibt.
Ueber den nördlichen Thoren halten Philippus und Jacobus minor zu
beiden Seiten des Evangelisten Johannes die Wacht, der das Buch mit beiden
Händen umspannt und das tiefernste Greisenhaupt mit langem, silberweissen
Bart über die Genossen erhebt, während Jacobus in den sinnigen Augen und
den knabenhaften Zügen schon den Geist der Forschung spiegelt, Philippus
staunend, fast betroffen, mehr dunkle Ahnung als klare Erkenntniss des Christen-
thums verräth.
Dem Kreise der Apostel, wie sie die Evangelisten Mathäus und Lucas
verzeichnen, fehlen Simon von Gana und Judas Thaddäus, die nach alter Tra-
dition als Hirten von Bethlehem dem göttlichen Kinde die erste Huldigung er-
wiesen haben; ihre Stehen vertreten Paulus und Barnabas: der Platz des Ver-
räthers Judas Ischarioth wird von Mathias besetzt. Im Einklang mit der
Symmetrie jeder Gruppe durchdringt ein Grundton weihevoller Stimmung die
Apostelschaar und aus den forschenden Augen blitzt ein Strahl jenes milden
Lichtes, mit dem der Stifter des Ghristenthums das Schattendunkel der alten
Welt durchdrang. Hier und da erreicht ein Kopf die Grossheit der alttesta-
mentarischen Gestalten, hin und wieder fesselt ein Gesicht durch feinen Um-
riss oder durch charaktervolle Züge und die leichtbewegte Haltung der Figuren
bringt auch in die Regelmässigkeit der Architectur einen freieren Zug; aber
Zeichnung, Golorit und Gewandung haben ihren alterthümlichen Anstrich ver-
loren und die Charakteristik des alten Meisters bleibt dem Auge entrückt. An
den schmiegsamen, weichgebrochenen Stoffen, wie an den Uebergängen der
Schattirung ist weniger die ursprüngliche Beschaffenheit der Draperie als das
Verfahren des Uebermalers zu erkennen, der bei allem Streben nach getreuem
Anschluss an die Originale doch die Züge feiner durchgebildet und die Farben-
stimmung durch Oeltempera verändert hat.
Aus den Zwickeln des Kreuzgewölbes steigen lebensgrosse allegorische
Figuren als Träger der heiligen Stadt empor, deren Thürme auf ihren Köpfen
ruhen: Aqua graugrün, durch eine umgekehrte Vase mit niederfliessendem
Wasser und einen Fisch bezeichnet; Aer blaugrün, mit der Wolke und mit
einem Vogel in den Händen; Ignis roth, mit Feuerflamme und glühender
Kohle; Terra gelbbraun, ein Schaf in der Linken, Körner auf den Boden
streuend: jede mit braunen, von Linien überzogenen Stiefeln und mit einem
glatten, neu gemalten Lendenschurz. Diese schlanken, antiken Marmorstatuen
nachgebildeten Gestalten - verrathen in der Natürlichkeit des organischen Ge-
füges und der straffen Haltung nicht geringes Formgefühl des alten Malers,
der für die Elemente wohl Sculpturen aus der Heidenzeit als Modelle benutzte
 
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