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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Gamper, Gustav: Leidenschaft
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Scheerbart, Paul: Zwei Weltenschöpfer
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Kühl, Gustav: Freund Hein
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Hesse, Hermann: Auf Erden
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0156
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EIDENSCHAFT.
Von GUSTAV GAMPER.*

An eine Gartenmauer gelehnt, schaue ich un-
verwandt nach deinem Fenster, wo die leichten
Vorhänge zugezogen sind. Seit du die Lampe
angezündet hast, bin ich neben dem Flieder-
baum und versuche etwas von dir zu sehen.
Die Augen wollen erblinden, so wunderbar ist
meine Seele in dich, Geiiebte, versenkt, so fern
sind meine Gedanken alien Dingen der Erde.
Der Mond wird spät über den Berg kommen.
Eher wili ich dich nicht veriassen, Geiiebte,
ais bis er auf dem Heimweg meiner Traurig-
keit ein Begleiter sein wird. Du weißt nicht,
daß ich dich iiebe und jeden Abend vom Berge
herabsteige an das Ufer des Sees. Schon weit
oben kann ich deine Fenster unterscheiden,
und baid ist mir dann gewiß, daß es deine
Gestait ist, die hinter den Vorhängen schimmert.
Schön ist es, wenn der Garten duftet in der
schwermütigen Nacht. Viei Süßigkeit träumt
in den Blüten. Ein Vogei schiuchzt oder ruft
verwundert. Schön ist es in der großen Stiiie,
und ich wünsche noch manchen Abend, manche
Nacht hier zu sein. Aber die Sehnsucht
schmerzt täglich mehr und wird bald geschehen
lassen, daß mich Bitterkeit erfüilt und ich ein-
sam davongehe.


WEI WELTENSCHÖPFER.
Skizze von PAUL SCHEERBART-

Sein Auge leuchtet wie tausend licht-
sprühende Sonnen. Er sitzt auf seinem großen
Weltensessel und träumt.
Seine Sterne drehen sich zu seiner Rechten
und zu seiner Linken, sausen an seinen Knieen
vorüber, gehen in Schraubenlinien um seine
Finger, bleiben still an seinem weißen Barte
hängen, wandern langsam in kompliziertesten
Kurven in die große Weite und leuchten alle
so still wie Nachtlampen in einer Sommernacht.
Und er freut sich über seine stille ruhige
Weltenherde wie ein guter Hirt.
Sein helles Auge schweift in die Unend-
lichkeit.
Da ist ihm so, als lösten sich dort drüben
im dunklen Hintergrunde ein paar Schleier los;
es wird dort immer heller. Und plötzlich sieht
er da hinten weit hinter seinem Weltenraum
den Kopf eines alten Freundes, der da drüben
auch Sternenwelten schuf.
Die Weltenschöpfer grüßen sich.
Und der alte Freund zieht alle dunklen
Schleier fort und zeigt, was er in den vielen
Billionen Sternjahren gemacht hat.

* Aus ,,Gedichte^ von Gustav Gamper. Verlag von
W. Schäfer, Schkeuditz 1905. Siehe Besprechung Seite 119.

Aber des Freundes Sternmeere sind nicht
so ruhig. Da Hackerts und Hammt es. Die
Sterne glühen in tausend Farben und zeigen
die tollsten Formen — gleißende rissige Rüssel-
sterne winden sich zuckend um Diamantgebilde,
Feuersäulen drehen sich wie Pfropfenzieher und
Hattern wie knallende Peitschen.
Die beiden Weltenschöpfer sehen sich lange
die neuen Welten an; jeder von ihnen schaut
weit vorgebeugt zum Nachbar hinüber. Und
während der Ruhige still seine Gedanken in
der Vergangenheit spazieren führt, jagt sie der
Leidenschaftliche wild in die fernste Zukunft.
Sie fühlen, daß sie beide anders sind, doch
sie emphnden das nicht als etwas Störendes.
Sie nicken sich lächelnd zu.
Die Weltenschöpfer haben alle nichts
gemeinsam. Ihre Sterngebilde wissen das nicht;
die Geschöpfe eines Schöpfers ähneln sich wie
die Kinder eines Vaters.
Langsam fallen wieder die dunklen Schleier
des Hintergrundes.
Und die beiden Weltenschöpfer sind wieder
allein; ihre Augen blitzen, daß ihre Sterne
staunend hineinhorchen in die tiefen Raum-
gefilde.
Die Augen der Weltenschöpfer durchstrahlen
ihr Reich; sie wissen, daß sie nicht das ganze
unendliche Weltenall durchdringen und um-
spannen können.
Auch dieses Wissen stört sie nicht.
Unantastbar bleibt ihr seliger ewiger
Schöpferrausch.
t'REUND HEIN.
Am Schreibtisch sitz ich Tag für Tag,
aus Wochen Hechten sich Jahre,
Zugvögel Hiegen am Fenster hin,
kaum daß ich sie gewahre.
Ich bin allein, die Wanduhr tackt,
allein mit meinem Geschreibe.
Nur Einer sieht mir auf die Hand
und achtet, was ich treibe.
Zugvögel hin, Zugvögel her,
doch Du bist streng und lauter.
Je fremder mir das Leben wird,
je wirst Du mir vertrauter.
Gustav Kühl.

A UF ERDEN.
L Das Gedichtbuch „Auf Erden" von Aiphons
Paquet, das der Verband kürzlich auf Subskription
herausgab, scheint der Kritik schwer im Magen zu iiegen.
Ein Dichter, der keine Reime macht und keine Strophen
baut! Freiiich, wenn er es spaßeshaiber einmai tut
(z. B. Seite 57 ff.), so sieht man, er versteht auch was
davon. AIso hat er wohl gute Gründe, wenn er meistens

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