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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Hesse, Hermann: Auf Erden
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Schäfer, Wilhelm: Gustav Gamper
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Die Retrospektive (1800 - 1850) Kunstausstellung in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0157

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auf einen schematischen Versbau verzichtet, und Ästhe-
tiker mögen sich darüber besinnen.
Beim Lesen, auch von Gedichten, soiite man aber
vieiieicht zuerst einmai schauen, was eigentiich drin
steht, und dann etwafragen: ist das gutgesagt? Konnte
es nicht besser, schöner, eindringiicher gesagt werden?
Und wenn man „Auf Erden" so iiest, überhaupt wenn
man das Buch ohne Voreingenommenheit und ohne
Schuimeisterei iiest, so eriebt man merkwürdig schöne
Stunden. Man sieht einen freien, stürmisch kühnen
Menschen über die Erde wandern und unbefangen das
Leben der Menschen und Vöiker betrachten. Er sieht
Städte von Stein und soiche von Hoiz, Fischerkähne
und Dampfschiffe, Maschinenhaiien, Voiksversammiungen.
Er sieht Menschen Großes ieisten und ieiden, und wo
ihm das Herz warm wird, da denkt er mit frohem Heim-
weh an sein Vateriand.
Dieser Wanderer spricht von den Städten fremder
Vöiker unbefangen schiidernd, ebenso von kieinen Schick-
saien, ebenso von Woiken des Himmeis, von bianken
kupfernen Leitungsdrähten, von schönfarbigen Schmetter-
lingen. Er erHndet nicht, er iügt nicht, er macht sich
nicht interessant. Er könnte alt und ein stiilgewordener
Beobachter sein. Aber er ist jung und manchmal reißt
ihn das Erieben mit, zum Frohiocken und zum Schelten,
zu rhapsodischen Begeisterungen und zu stammeinder
Ehrfurcht vor dem ewig erstauniichen Wunder des Lebens
Gewiß, dieser Wanderer ist ein Ausnahmemensch
und vieiieicht ein recht aparter. Aber er ist nicht prahie-
risch, er ist nicht eitei, er sucht nicht den Biick des
Zuhörers. Er wandert, schaut und redet auf eine neue,
überraschende Art, aber er wiii nicht neu sein, er wili
nicht überraschen. Undmanchmai denkt man: wiewenn
es mehr soiche gäbe? Wäre es nicht gut? Wäre es
nicht herriich? Und trägt aiso dieser Wanderer nicht
vieiieicht Züge des Menschen der Zukunft?
Hermann Hesse.

V^USTAV GAMPER.
Dieser Tage fiel mir ein grüngebundenes Büch-
iein in die Hände, darin ein Motto aus Höideriins
Hyperion mich zum Lesen reizte: „Es ist das Beste, frei
und froh zu sein, doch ist es auch das Schwerste, iieber
Fremdiing." Wo soiche Worte stehn, da ist man sehr
geneigt zu biättern; und wie das so geht: nach einer
Stunde, oder war es iänger, fand ich mich staunend wieder
und hatte ein Buch geiesen, ohne Pause zu Ende ge-
iesen; und wußte nun, daß es kein gutes Buch war, daß
es von Sprüngen durchrissen und verpappt mit Einfäiien
war. Und freute mich doch, es geiesen zu haben, um
der heißen törichten Seeie wiiien, die dahinter stak.
Kein Roman und keine Noveiie; nur ein paar heiße
Wochen aus dem Leben eines jungen Maiers, aufgezeichnet
mit aiier hitzigen Grübeiei und Lebenssehnsucht, die
wunderiich mit Leidenschaft zur Kunst vermischt den
Weg zum Leben wie zur Kunst schon geht, ohne ihn
gefunden zu haben.
So war ich auf viei Hitze und wenig Kunst gefaßt,
ais ich ein zweites Bändchen von Gamper, diesmai Ge-
dichte zur Hand nahm; und war aufs angenehmste ent-
täuscht. Zwar ein paarmai wie in dem Prosastück
„Pergoiese erste Liebe" zerfiatternde Anschauungen
schöner Eindrücke; doch schon mehr Haitung. In andern
z. B. dem hier abgedruckten ersten Stück aus Leiden-
schaft und Bestimmung eine ruhig gestaitende Hand.
Mehr noch in den Gedichten und zwar meist in kürzeren.
!n andern aber, wie in den Gesängen an E. R. Weiß,
schon ein Pathos der Leidenschaft von echtem Kiang.
In der Sprache nicht besonders kraftvoii, und insofern
manchmal diiettantisch anmutend, doch immer wieder
anziehend durch die Reinheit (die Unveriogenheit) des
Ausdrucks und der Gefühie eines jungen Menschen, der
in stetem Wechsei ais Maier, ais Musiker oder ais Dichter
die Natur empftndend sich reicher und breiter in seiner
Anschauung gibt ais sonst in jungen Werken. Und da-

durch gar nicht iiterarisch. Man iegt das Buch aus der
Hand und weiß nicht: ist es nun ein Dichter oder etn
Musiker oder ein Maier, der hier werden wiii? Jeden-
faiis eine junge reiche Begabung, der wir aufmerksam
foigen müssen.
Das Prosabuch nennt sich „Prüfung und Ziei". Ich
empfehie es jedem jungen Künstier. Die „Gedichte"
aber iege ich aiien ans Herz, denen die Lyrik nicht nur
bei toten Größen etwas Unverächtiiches ist. Beide
Bücher erschienen im Veriag W. Schäfer, Schkeuditz
1905, das eine kostet 2 M., das andere (die Gedichte)
3 M. broschiert. S.
T*^IE RETROSPEKTIVE (1800 -1850)
JL7 KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN
Auch München wollte neben Berlin seine- retrospektive
Ausstellung haben. Worin München gerade bedeutend war,
in der Architektur, in der dekorativen Malerei, das konnte
natürlich nicht gezeigt werden. So blieben nur die Bilder,
die mit recht viel unkritischer Laune angehäuft sind.
Doch fallen einige Namen heraus, die nicht so bekannt
waren und die bis zu einem gewissen Grad eine Über-
raschung sind.
An erster Stelle ist da Edlinger (1741—1819) zu nennen,
er fällt sofort auf, da er ganz ohne Pose ist. Er hat Kraft
und Sicherheit, ja in der Auffassung des Menschen sogar
Grösse. Er sucht die Natur und bewahrt ihre Lebendigkeit
in vielen Porträts, die in ihrer packenden Lebenswahrheit
an Franz Hals erinnern, in ihrer warmen Tonschönheit an
Rembrandt denken lassen. Ein goldig-weicher Ton ist in
seinen Biidern. Der Hintergrund ist oft grüniich, von dem
sich das Braun des Vordergrundes voll abhebt. Er ist ganz
unbefangen und malt mit Vorliebe derbe, volle Gesichter,
ohne jede Verschönerung. Überall würden noch heute
seine Bilder Geltung haben. Oft denkt man, Lenbach
müsste sie gesehen haben. Wie der Kopf sich immer ais
Lichtpartie hell heraushebt, dann der goldige Ton, das er-
innert an Lenbach. Man stellt überrascht fest, dass dieser
Maler von 1741—1819 lebte. Realistischer ist Math. Klotz
(1748 — 1821), dessen ,,Bildnis einer Bäuerin" schon die Ten-
denzen eines Leibl ahnen lässt, so unmittelbar und lebendig
ist der Ausdruck, so unbefangen die malerische Art. Auch
Adam (1786—1862), der Stammvater einer ganzen Maler-
familie, sucht in genauer, ernster Arbeit seinesgleichen. Er
ist nicht nur ein geschickter, feiner Pferdemaler; eine kleine
Studie, ein Rückenakt, zeigt ihn auch auf diesem Gebiet
tüchtig. Ausser diesen ist noch Kobell (1760—1853) zu
nennen, der in vielen kleinen Stücken, wo er bescheiden
Wiese, Himmel, Sandstrecken darstellt, Proben seiner feinen
Art gibt. Sehr lustig und naiv ist das ,,Pferderennen auf
der Theresienwiese". Der Kontrast des grossen Himmels,
der grossen, grünen Wiesenhäche und den kleinen, puppen-
haft wirkenden Menschen, ist trefflich gesehen. Auch ist
die Luft über der fernen Silhouette der Stadt auffallend
leicht.
Dies ist das alte, bescheidene München, das uns hier
entgegentritt. Und wenn wir weitergehen, sehen wir, wo
seine Sehnsucht lag, in der Landschaft. Diese Land-
schaften haben zwei Stoffgebiete, das Gebirge und Italien.
Alle diese Szenerien, mit mehr oder minder Schlichtheit
gemalt, sind sich oft sehr ähnlich. Man merkt das Nach-
wirken der holländischen Tradition, die die Landschaft, die
schlichte Landschaft entdeckte. Ein selbständiger Charakter
ist Heinlein, der ganz schlichte Motive, z. B. wandernde
Leute im Karwendelgebirge, malt. Ebenso gelingt es
Martin in seinem ,,Isartal bei Föhring" gewissermassen
etwas zu schaffen, das für nachfolgende Generationen in
seiner Frische und Unmittelbarkeit vorbildlich sein kann.
Ganglios (1793—1869) Gebirgsszenen zeichnen sich durch
helles, natürliches Licht aus. Auch die Tiermalerei hat
eine Reihe tüchtiger Vertreter. Etwas nüchtern ist Wagen-
bauer (1775—1829). Malerisch sind Schnitzlers Tierbilder
(1782—1861), der vor grünem Hintergrund die Tiere gross
hinstellt; die gleichmässig graue Farbe und der stumpfe Ton
unterstützen den ruhigen, grossen Eindruck. E. Schur.

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