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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Schäfer, Wilhelm: Wer verlegt die deutschen Dichter?
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0293

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XTT7*ER VERLEGT DIE DEUT-
W SCHEN DICHTER?
Aus den großen Zeiten der deutschen Dich-
tung ist ein Abglanz auf den Verlag J. G. Cotta
gefailen, der nicht nur seinen damaiigen In-
hab^r und eigentlichen Begründer Johann Frie-
drich Freiherr Cotta von Cottendorf berühmt
machte, sondern auch dem deutschen Verieger-
stand eine Würde gab, die sonst einem ge-
schäftiichen Beruf nicht eigen ist. Aus einem
Mann, der mit Büchern Geschäfte treibt, war
ein Hausverwalter der geistigen Nationalgüter,
fast ein Mäcen geworden. Daß dieser Leumund
des deutschen Verlegerstandes sich gegen Ende
des neunzehnten Jahrhunderts verringern mußte,
ergab sich aus den ungünstigen Literaturzu-
ständen von seibst. Sowie die deutsche Dich-
tung Anfang der neunziger Jahre wieder auf-
zuieben begann, sind auch neue Verleger mit
einem bedeutenden Bewußtsein ihres Standes
aufgetreten. Und wenn auch der Verlag J. G.
Cotta diese Erneuerung nur teilweise mitmachte,
so biieb doch das Vorbild seines Begründers
für die andern; und somit muß dieser rasche
Versuch einer Charakterisierung der heutigen
Zustände wohl mit ihm beginnen.
Es wäre waghaisig und also ungerecht, eine
soiche Charakterisierung der Verleger an der
Hand ihrer Kataloge ailein zu versuchen, aber
weil ich seit zwölf Jahren in der Lage war,
von meiner persönlichen Ecke aus die deutschen
Verieger zu betrachten, hoEe ich nicht un-
richtig zu zeichnen.
Der letzte Verlagskatalog der J. G. Cottaschen
Buchhandlung stammt aus dem Jahr 1900; er
ist in imitiertes Leder mit Goldaufdruck ge-
bunden und auf gelblich gefärbtes Papier
in einem Durcheinander von deutschen und
lateinischen Lettern gedruckt; 231 Seiten im
Lexikon-Format. Als alphabetischer Katalog vor-
trefflich (jedes Werk ist nach Format, Er-
scheinungsjahr, bei wichtigeren auch Jahr der
ersten Auflage, Seitenzahl. Art des Einbandes,
Preis genau bezeichnet) trägt er verhalten den
wohlbegründeten Ruhm und Reichtum seiner
Besitzer zur Schau, läßt aber einem verwöhn-
teren Auge den Anschluß an die neuen Be-
strebungen der Buchkunst vermissen. Der
Stolz einer alten Firma, die es nicht nötig hat,
mit der Zeit zu gehen, und die vergaß, daß
ihre Ausdehnung nur darauf beruht, daß ein-
mal ihr Begründer ganz mit der Zeit ging: in
diesem Sinn ist der Katalog ein Sinnbild des
Verlags, der durch ein halbes Jahrhundert der
deutsche Dichterverlag war und jetzt auf tote
Gleise geraten ist. Bis etwa um 1850 hat er
noch so ziemlich alle Namen von Bedeutung
sich zu verbinden gewußt; aber schon Gottfried
Keller und Ad. Stifter fehlten, wie früher Heine

und Strachwitz gefehlt hatten und nach ihnen
C. F. Meyer, Raabe, Fontane und Saar. Damit
war der Zerfall mit der deutschen Dichtung
schon vollendet, lange bevor die neunziger
Jahre ihn so auffällig zeigten, daß der Verlag
selbst Anstrengungen machte, den verlorenen
Anschluß wiederzugewinnen: er erwarb im Jahre
1892 die erfolgreichen Werke von Sudermann,
sicherte sich den schnell berühmten Talisman-
dichter Fulda und den durch geheimrätliche
Gnade eines berühmten Literaturhistorikers
dem deutschen Volk als lyrisches Genie vor-
gesetzten Kari Busse. Außerdem gelang es ihm,
noch die Werke Gottfried Kellers anzukaufen:
im Ganzen aber zeigte die Auswahl seiner
Autoren trotz eifriger Absichten nur die Unfähig-
keit, aus einer inneren Anteilnahme an der mo-
dernen Bewegung heraus die führenden Geister
rechtzeitig zu erkennen und sich zu sichern.
Außer den genannten neueren Dichtern weist
der neueste ,,kleine Verlags-Katalog" die Namen
Heyse, Greif, Wilbrandt, Seidel, Trojan, Lang-
mann (,,BarteI Turaser"), A. Ritter und Alberta
von Putkamer auf, sowie einzelne Werke von
Ebner-Eschenbach, Fontane, Gött und Albert
Geiger: gelegentliche Ankäufe und ein paar
durch Massenerfolge veranlaßte Griffe; ge-
wissermaßen nur Abfälle der modernen Dich-
tung; wenn darunter auch köstliche Stücke
sind, der historischen Bedeutung des Verlags
entsprechen sie nicht.
Die Verbindung des Verlags Cotta mit der deut-
schen Dichtung begann, als er Schiller im Jahre
1794 für die Herausgabe einer „Europäischen
Staatszeitung" gewinnen wollte und von diesem
den Verlag der „Horen" angetan bekam. Die
bestanden allerdings nur drei Jahre lang, aber
sie waren doch der Kern, um den sich die Be-
ziehungen zu dem bedeutenden Unternehmen
verspannen. Von ähnlicher Bedeutung hätte für
den Verlag der Gebrüder Paetel die „Deutsche
Rundschau" werden können, indem zum ersten-
mal in dieser Zeitschrift sich die Fäden der
deutschen Dichtung wieder energisch zusammen-
zogen. Die beiden Mitarbeiter Gottfried Keller und
Conrad Ferdinand Meyer hätten den Grundstock
eines Verlags abgeben können, der die Ablösung
des Cottaschen bedeutete. Die Gebrüder Paetel
haben es nicht vermocht, diesen Nutzen aus
den Beziehungen ihres Herausgebers Rodenberg
zu ziehen; sie ließen sich die Gelegenheit zu
einem bedeutenden Verlag entgehen und so
stimmt eine Durchsicht thres Katalogs ebenso
wehmütig wie die „Deutsche Rundschau" selbst,
die, einst führend, heute nur noch ihre traditio-
nellen Verehrer hat wie irgend ein ererbtes
Möbel von guten Formen. Immerhin genügt
allein schon die Gesamtausgabe der Ebner-
Eschenbach, den Verlag vor dem alten Eisen
zu bewahren, und wenn auch die Gesamtausgabe
von Storm bei Westermann erschien, die meisten

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