Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Artikel:
Keller, Bernhard: Noch einmal Thoma?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0158

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
OCH EINMAL THOMA?
GEDANKENZURFRANKFURTER
AUSSTELLUNG. Von Bernhard Ketter.
Gieich nach der wohigelungenen Steinhausen-Aus-
steiiung im Februar wurde in Frankfurt der Pian einer
Thoma-Aussteiiung iaut, die nun im Kunstverein 109 Öi-
biider des Meisters aus den Jahren 1866 bis i905 in fast
iückenioser Reihenfoige zeigt, aiso Freund und Feind Ge-
iegenheit gibt, den Beweis fiir oder gegen ihn anzutreten.
Es ist fast ein Naturgesetz, wenigstens unserer mo-
dernen Zeit, daß gegen Beriihmtheiten sich eines Tages
die Liebe in Fiaß verkehrt, daß in dem Augenbiick, wo
die aiigemeine Anerkennung erreicht ist, die Leidenschaft
Einzeiner sich nun gegen sie wendet und je nach der
Stärke ihrer Gründe an den Lobsprüchen mehr oder
weniger beschneidet und Gefoigschaft Hndet. Fiiervon
wird keiner verschont, und wer dem ersten Sturm wider-
steht, ist dadurch nicht geschützt vor dem zweiten; soiange
einer Geitung hat, ist er ihnen ausgesetzt, Raffaei heute
z. B. nicht weniger ais Schiiier oder Böckiin. Natüriich
entspringt dieser Sturm niemais einer Laune, sondern ruht
auf wachsenden Abneigungen gegen bestimmte Wesens-
züge des betreffenden Künstiers; und keine Geschichte
wäre interessanter, ais eine, die aus diesem Auf und
Nieder in den Weiiengängen des Geschmacks ein Biid der
jeweiiigen Geistesverfassung gewönne. Ihr eigentiicher
Zweck aber ist: den Büttei des Weltgerichts zu spieien.
Nur Wenigen geiingt es, ein Dutzend soicher Stürme zu
überdauern, sich ais Nationai- und endiich Menschheits-
gut von der „zeitgenössischen" Spreu abzusondern.
Daß der Böckiin-Sturm, den wir eriebten, gieichzeitig
gegen Thoma wehte, bestätigt nur, daß hier keine Launen
einzeiner Führer, sondern Strömungen im Zeitgeschmack
geschäftig sind, die aiso nicht moraiisch abzuurteiien,
sondern nach der Stärke ihrer Gründe zu bewerten sind.
Jeder Künstier ieistet nur Menschenwerk; und mancher
verdankt seinen ersten Ruhm mehr seinen Schwächen
ais seinen Vorzügen, die sich oft erst aus der ieiden-
schaftiichen Kritik deutiich ergeben. Wer möchte ieugnen,
daß dies auf den ausgebiasenen ersten Böckiin-Sturm und
auch ein wenig auf den Meister vom Schwarzwaid zutrifft?
Genau besehn war es nicht einmai ein Sturm gegen
Thoma, sondern eine zur Schau getragene Verachtung,
die bei einer Leidenschaft für das „Reinmaierische" natür-
iich ieichten Kampf hatte, indem die Aniagen und Nei-
gungen Thomas von vornherein auf andere Zieie gingen
ais auf die maierische modern gesagt impressionistische
Aufiösung der Anschauungen, so daß er nur von hier aus
beurteiit natüriich ebenso unzuiängiich wirken muß, wie
grob gesagt Schiiier vom Standpunkt des konsequenten
Naturaiismus. Zudem richtete sich die „Verachtung"
mehr gegen die große Masse der Bewunderer Thomas
und war iedigiich eine Aufiehnung artistischer Kühie
gegen überschwengiiche Gefühisausbrüche. Auf alie
Fälie hat sie den Blick von dem gefeierten „Poeten" zu-
rück auf den Maier geienkt. Hier weniger eine Revision
ais eine voriäuüge Kiärung mögiich zu machen, dazu bot
die Frankfurter Aussteliung eine wiiikommene Geiegen-
heit, indem sie — man kann wohl sagen wahiios — aus
aiien Zeiten seines Schaffens zusammenbrachte, was zu
eriangen war.
Wie man weiß, werden auch von den Verächtern
Thomas gern Biider aus seiner ersten „Courbet"-Zeit
anerkannt. Es sind dies tatsächiich die Werke, in denen
er mehr oder weniger rein maierisch arbeitet. Prüft man
sie genauer, so sieht man, daß sie immer nur teiiweise
darin aufgehen, und daß seitsamerweise in Biidern ganz
anderer Art einzeine Stücke derart gemait sind. So z. B.
in dem bekannten Seibstporträt von 1875 die wundervoiie
Hand in einer ganz fiockigen Maierei, die von dem übri-
gen Bild, den Totenschädei abgerechnet, durchaus ver-
schieden ist. Das gieiche in der Landschaft mit dem
Angier, dessen Weste z. B. ganz von Trübner gemait sein
könnte, im Gegensatz zu der Landschaftsmaierei auf dem
seiben Biid. So reizvoii diese Einzeiheiten sind, im Ganzen
wirken sie stiiwidrig; bewußte Versuche eines Mannes,

der schon früh seine eigentiiche Begabung und Aufgabe
in andern Dingen erkannte:
Meier-Gräfe hat in seiner „Entwickiungsgeschichte"
Thomas Kunst gewissermaßen aus dem bäueriichen Uhren-
schiidermaier entwickeit. Es iiegt trotz der unfreund-
iichen Absicht Wahres darin. Thoma kam zu spät auf
die Akademie, um in seiner künstierischen Anschauung
noch sonderiich gestört werden zu können. Diese An-
schauung aber hatte nur eine Tradition, die bäueriiche
Kunstübung, aiso derbe Stiiistik; über di&handwerkiichen
Neigungen Thomas braucht nicht gestritten zu werden,
wohi aber wird übersehen, daß die bäueriiche Kunst-
übung tatsächiich die einzige Tradition aus den großen
Zeiten der deutschen Kunst war; und daß Thoma, ais er
Dürer für sich entdeckte, den Weg zu seinen Anfängen
zurück und eine Bestätigung seiner eigenen künstierischen
Instinkte fand, die im Zeichnen und, aiso soweit dieses in
der Maierei zum Ausdruck kommen kann, im Stiiisieren
iiegen. Hierin war auch Courbet für ihn eine Eriösung,
indem er dem unter der Akademie Leidenden die Kunde
brachte, daß aiies maibar und maienswert sei, wodurch
er erst wieder auf seine Anfänge zurück konnte; während
das maierische Handwerk von ihm wie von Leibi und
Müiier für ihn ein Abweg gewesen wäre.
Der ihn jedoch iange genug beschäftigt hat, wie jene
prachtvoiie Landschaft „Vor dem Dorf" mit den drei
Burschen aus dem Jahre i873 sowie aiie Biider beweisen,
in denen meist gegen einen eisengrauen Himmei eine
dunkie Landschaft steht. Seibst der „Einsame Ritt" aus
dem Jahre 1889 gehört noch hierher.
Unterdessen hörte er aber mit dem Eigensinn eines
Schwarzwaidbauern nicht auf, jene Art der Landschafts-
maierei zu entwickein, die ganz vom Zeichnerischen aus-
gehend die Farbe in großen Fiächen auseinander iegt und
auf das maierische Einzeiwerk verzichtet. Meist auf ein
iichtes Grün gestimmt, in der Zeicbnung vereinfacht, sind
diese Biider die stärkste Anregung der modernen deutschen
Landschaftsmaierei geworden und gebiieben. Je mehr die
Anerkennung Hodiers uns zu einem Stii zwingt, der seine
Monumentalität nicht aus den Aiten sondern aus der
eigenen Naturanschauung erhäit, um so mehr werden wir
die vorbiidiiche Grösse des Schwarzwäider Meisters er-
kennen. Und nur von hier aus kann auch eine gerechte
Beurteiiung seiner derb umrissenen Figuren erfoigen.
Die Bedeutung Thomas aber voiiendete sich erst, ais
er die Vereinfachung seiner Zeichnung von dem ait-
meisteriichen Koiorit abiöste und aümähiich zu den Groß-
taten seiner Aipenbiider vordrang, wo er sich aufs engste
mit den jungen Schweizern berührt und unter den Jungen
nicht nur ais der Jugendiichste sondern auch durch die
unübertreffiiche Sicherheit seiner Zeichnung ais der
Meistersteht.
So steiit sich die gerade Entwickiung des Handwerkers
Thoma dar. Daneben aber spukte von Anfang ein
Phantast in ihm, der durchaus nicht in den beiiebten
und bekannten Aiiegorien seinen stärksten Ausdruck
fand, sondern piötzlich irgendwo in einem Himmei, einer
iandschaftiichen Ferne, einem Wassertümpei. Da ist
z. B. sein „Charon" vom Jahre 1876 ein unbegreifiich
schönes phantastisches Biid in der Farbensteiiung (in Frank-
furt ieider über eine Tür gehängt); oder sein „Paradies"
vom gleichen Jahr, ganz anders ais das späte streng
gezeichnete, mit einem Himme! und Baumspitzen davor,
in denen aiie Märchen der Weit zu biühen scheinen;
oder aus dem Jahre 1878 hinter der „Großmutter mit
Enkei" ganz unvermitteit eine Himmeispracht sonder-
gieichen; oder aus dem Jahre 1882 ein „Regen im
Schwarzwaid", wo die weite Ferne eines Wiesentais in
einem biaßgrünen verhaitenen Schimmer sich zauberhaft
ausbreitet. So ist auch das ietzte der ausgesteiiten Biider,
eine „Sommerlandschaft mit Kindern", ganz ohne Ver-
bindung mit einer aiiegorischen Figur (die Kinder sind
nebensächiich für den Eindruck) doch in kühner Farben-
steiiung, ein stärkeres Zeugnis seiner phantastischen Art ais
irgend eines seiner bekannten Symboie. Und es war eine
feine Fland, die den „biauen Tag" vom Jahre 1893 daneben
hängte, wie das gieiche nur zarter, vieiieicht darum
inniger, aber nicht so strahlend prächtig sich ausgab.


Herausgeber W. Schäfer, Verlag der Rheinlande (v. Fischer & Franke). Druck A. Bagel, Düsseldorf.
 
Annotationen