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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Henrici, Karl: Langweilige und kurzweilige Strassen
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Schäfer, Wilhelm: Ein Städtebaumeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0150

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LANGWEIHGE UND KURZWEILIGE STRASSEN.

Die Planzeichnung verliert bei solchem Vor-
gehen naturgemäß denjenigen Charakter der
Übersichtlichkeit, der den schematischen Straßen-
netzen unserer modernen Straßenerweiterungen
eigen zu sein scheint. Wer jedoch eine Plan-
zeichnung mit den Augen so zu durchwandern
vermag, als ob er in der fertig aufgebauten
Stadt einherging, den erfaßt schon das Grauen
der Langeweile, wenn er in einem Stadtplane
jenen — als Schlagwort so gern gebrauchten —
,,großartigen" Zug und ,,jene innige Durch-

IN STÄDTEBAUMEISTER
Von W. SCHÄFER.
Daß die malerischen Straßenbilder in alten
Städten dem Zufall und dem Eigensinn der ein-
zelnen Bauherren zu verdanken seien, ist eine
ebenso allgemeine Fabel, wie die blindwütige
Überzeugung, daß ein rechtwinkliges Straßen-
netz für den modernen Verkehr notwendig sei.
So werden bis zur Stunde alte Baugruppen
durch schnurgerade Einbrüche zerschnitten, um
sie dem Verkehr zu öffnen; alte malerische
Wälle zu abgezirkelten Ringstraßen ausgebaut
und neue Stadtteile mit Lineal und Zirkel dem
Papier ,,aufgelogen", wie der Aachener Ober-
baurat Henrici so reizend in seinem Buch über
den Städtebau sagt, dem diese Zeilen gewidmet
sind. Gewiß hätte es an den Architekten ge-
legen, sich hierin Luft zu schaffen, wenn sie
Baukünstler gewesen wären; aber sie hatten
jahrzehntelang einen hitzigen Eifer für planierte
und rechtwinklige Grundrisse. Insofern ge-
schieht ihnen kein zu großes Unrecht, wenn
der barbarische Eindruck moderner Pracht-
straßen und Stadtteile ihnen nun schonungslos
als Schuld aufgebürdet wird. Doch wäre das
Reißschienenwerk ihrer Fassaden wohl schon
früher der Lächerlichkeit anheimgefallen, wenn
die Zweifel an dem rechtwinkligen Straßen-
system der modernen Baupolizei zeitiger Ver-
breitung und Anerkennung gefunden hätten.
Seit fünfzehn Jahren bekämpft eine so be-
kannte Autorität wie Henrici' in Vorträgen und
Aufsätzen das ,,Schachbrett"- und ,,Bienenzellen-
system" der modernen Stadtpläne, ununterbrochen
in praktischen Entwürfen Beispiele gebend, wie
man auf die malerische Gruppierung nicht zu
verzichten braucht und doch dem modernen
Verkehr mehr entsprechen kann, als mit dem
rechtwinkligen System. Seit zwei Jahren liegt
die Sammlung seiner Vorträge und Aufsätze als
Buch vor: ,,Beiträge zur praktischen Ästhetik
im Städtebau" (Verlag D. W. Callwey, München);
und so oft ich es zur Hand nehme, bin ich er-
staunt, daß seine Darlegungen — ein wahres
Ei des Kolumbus zumeist — nicht einen Sturm
in die Trostlosigkeit moderner Stadtanlagen
hineingefegt haben. Wie das aber auf allen

dringung von Technik und Kunst gewahtt,
die eben nur mit Zirkel und Lineal unter Be-
folgung eines einseitigen linearen Systems dem
Papier aufgelogen ist.
Noch schlimmer aber wird einem zumute,
wenn man sich die Millionen vergegenwärtigt,
die für Prunk- und Protzbauten aufgewendet
werden müssen, um mit rein äußerlicher Pracht-
und Glanzentfaltung dem sogenannten ,,groß-
artigen Zuge" der Straßenanlagen gerecht zu
werden.

andern Gebieten geht: längst ist von einsichtigen
Geistern das Richtige erkannt, aber in den ent-
scheidenden Stellen wird ruhig fortgewurstelt.
Die Beispiele wo, wie beim Römer-Neubap in
Frankfurt a. M., eine Gruppierung im alten Sinn
versucht wird, sind selten; und wenn man in
dem Buch von Henrici seinen Erweiterungsplan
von Hannover mit dem zur Ausführung be-
stimmten vergleicht, so möchte man mit Engels-
zungen reden können, um der einfachen Ver-
nunft Gehör zu verschaffen.
Ich bilde die beiden Entwürfe hier ab und
bitte den Leser, sich einmal die Mühe zu
machen, sie Stück für Stück zu vergleichen:
er wird das Wesentliche der Henricischen
Methode klarer erkennen, als ich es mit Worten
sagen könnte. Feststehend für den Plan waren
die begrenzende schnurgerade Hildesheimer-
straße, die in ziemlich gerader Richtung ge-
führte Bahnstrecke Kassel und die den neuen
Stadtteil im Bogen durchschneidende Bahn
nach Altenbeken. Nötig war ferner eine mitten
durchführende große Verkehrsader. Wer die
nun auf dem zur Ausführung bestimmten Plan
A durchgeht, wie sie schnurgerade ein paarmal
um Beete herumläuft, eine dreieckige Garten-
anlage durchschneidet, um endlich jenseits der
Bahn an einem Monumentalgebäude wieder im
dreieckigen Platz hinter einem runden Beet
hoffnungslos in zwei Straßen zu zerschellen,
von denen (dem Reißbrett zuliebe) die unwichtige
Führung links in die Anlage so breit ist, wie
die verkehrführende rechts, dem stehen schon
die Fassaden und Blumenbeete, die hier ent-
stehen werden, in ihrem endlosen Nachein-
ander deutlich vor Augen mit der langweiligen
Allee in der Mitte.
Wie kurzweilig dagegen spaziert man auf
dem Henricischen Entwurf B aus dem engen
Stadtteil auf mählich erbreiterter Straße gegen
die mit einem Punkt wohl als Denkmal be-
zeichnete Straßenecke hin, um bald darauf in
unmerklich abgeänderter (iür die Straßenansicht
wichtiger) Richtung statt in die dreieckigen An-
lagen auf einen reichgegliederten freien Platz
zu kommen, der durch die mannigfachsten Ein-
blicke zwischen und auf Monumentalgebäude
überrascht. Danach eine Allee, aber seitwärts
gelegt und in ihrem breiten Teil schon mit


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