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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 10
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Schmidt, Erich: Einleitung zum "Michael Kohlhaas"
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Schäfer, Wilhelm: Die von Bolanden
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0201

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KINLEITUNG ZUM „MICHAEL KOHLHAAS".

Kommata oft beinah zerstiebenden Perioden
triftig und fein verbessert. Man sehe gleich
die vorangestellte Formel: „einer der außer-
ordentlichsten und fürchterlichsten Menschen
seiner Zeit. — Dieser merkwürdige Mann" hieß
es erst — nun aber ist der Gegensatz heraus-
geschliffen „einer der rechtschaffensten zugleich
und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. —
Dieser außerordentliche Mann" . . . Wir sehen
manchen Ausdruck gedämpft, damit die erste
Gelassenheit stärker scheine, das Rechtsgefühl
noch verdeutlicht, die Haltung teils mannhafter,
teils weicher. Kleist nennt Lisbeth nicht mehr
ein „junges" Weib, dafür anderswo ein „treues",
und läßt Kohlhaas nicht mehr von seiner „treff-
lichen" Frau reden. Sachlich ist die Geschichte
Heinrichs v. Geusau neu, und Brandenburgs
Bemühungen steigern Kohlhaasens Wunsch,
das Land zu räumen. Nun herrscht, wo der
„Phöbus" schwieg oder es bei einem allgemeinen
Ausdruck bewenden ließ, durch genaue Be-
nennung jeder Örtlichkeit die volle Klarheit; ja,
selbst „der Knecht" verwandelte sich in einen
„Sternbald", denn Kleist rechnet auch für Neben-
personen damit, daß man nach den Namen der
Leute fragt, und versäumt deshalb später nicht,
Kohlhaasens Knaben Heinrich und Leopold zu
taufen. Er revidiert den Prozeß, wie Lisbeths
Tod und Begräbnis. Er sieht sich jeden Platz
wieder an und macht etwa den „Steindamm"
zum „Knüppeldamm". Er läßt Kohlhaas nicht
mehr einen Schlafrock anziehen, sondern sich
in den Lehnstuhl setzen; Herse nicht mehr

„was ihm in die Hand kam", sondern bestimmt
eine „Latte" greifen. SelbstKIeinigkeiten werden
motiviert: die Junker lachen jetzt „um eines
Schwankes willen", die Rappen werden „wegen
Mangels an Zugvieh" eingespannt, wie denn
überhaupt diesen Tieren ein noch genaueres
Augenmerk in Zusätzen und Verstärkungen ge-
widmet ist. Doch auch dem Knecht Herse,
der seelisch besser, körperlich schlechter fährt.
„Überall, wo er einkehrte", hört nun Kohlhaas
von den Ungerechtigkeiten der Junker, und „aus
einer dunkeln Vorahnung" fällt ein Schatten
auf die Zukunft. Endlich hat Kleist hier und
da am Satzbau gefeilt und den Ausdruck ge-
legentlich erhöht, manchmal gesteigert: der
„Geizhals" wird zum „hlzigen Geldraffer", das
„entsetzliche Geheul" zum „Mordgeheul"; das
Herz schlägt nicht bloß, es „quillt empor";
Kohlhaas murrt nicht mehr, daß man seine
Klage gegen den Junker niedergeschlagen habe,
sondern, sie sei „eine nichtsnutzige Stänkerei"
genannt worden.
Auch Heinrich v. Kleist, dem die Frist des
Schaffens so kärgiich bemessen war, hätte sagen
dürfen: die Kunst zu lernen, war ich nie zu
träge. Selbstbewußt, nie selbstgefällig nahm
er seinen Gang. „Michael Kohlhaas" bleibt
ein Ruhmestitel der deutschen Erzählungskunst
und ist durch einen Großen so fest in diese
Gattung eingepßanzt, daß schwerlich jemand
den dramatischen Reizen des Stoffes noch in
der Form eines Trauerspieles wird genügen
können.


IE VON BOLANDEN.
Eine Rheinsage erzählt von W. Schäfer.

In der Clemenskapelle bei Trechtlingshausen
lehnte früher eine alte Grabsteinplatte an die
Wand, worauf ein Ritter ohne Kopf die Hände
zum Gebet gefalten hielt. Und obwohl kein
Name darauf stand, wußte man, daß Philipp
von Bolanden Burgherr auf Reichenstein der
Ritter war, weil das Gedächtnis seines Todes
im Gespräch geblieben war mehr als fünf-
hundert Jahre.
Der Reichenstein dicht über Trechtlings-
hausen wird heute die Falkenburg genannt;
und wer die arg zerstörten Mauern sieht, der
glaubt nicht leicht, daß Rudolf von Habsburg
sie nicht erobern konnte, und mit dem ganzen
Heer noch viele Wochen lang vergeblich sie
berannte, als schon der Rheinstein, Soneck und
Waldeck gebrochen waren und ihre Ritter den
Tod am Galgen erlitten hatten. Schließlich
half ihm der Hunger; so ffelen eines Tages die
Brücken nieder und ein blasser Bote schlich
mit weißem Stab ins Tal hinab, die Burg zu
übergeben. Der König aber, der den Spruch

getan: Wer ritterlicher Ehre vergaß, soll als
gemeiner Räuber sterben, wollte von keiner
ritterlichen Übergabe hören. So kamen am
andern Tag Philipp von Bolanden und seine
Söhne, neun an der Zahl und wie ihr Vater
mächtige Gestalten, mit ihren Knechten ge-
panzert und bewehrt den zerstörten Burgweg
herab und traten festen Schrittes in den Lanzen-
wald, womit der König sich umgeben hatte.
Der sah sie hnstern Auges an, hieß dann die
Ritter eine Gasse machen, so daß die Herren
von Bolanden die zehn Gerüste sahen, daran
sie hängen sollten. Da ßel der alte riesenhafte
Mann, den sie am Rhein gefürchtet hatten, in
seine Knie und bat um Gnade. Doch als des
Königs Auge sich streng von ihm und nach dem
Galgen wandte und nur um seinen Mund ein
hartes Lächeln zuckte, stand er auf, nahm
seinen Helm vom Haupt, so daß die weißen
Haare in der Rheinluft ßatterten, und sagte,
Zorn und Verzweitlung in der Stimme: „Was
meinen Freunden geschehen ist, das mag mir
auch geschehn; nur sei gerecht an meinen
Kindern. Sie haben mir gehorcht als ihrem
Vater, und das ist kein Verbrechen!" Hier
aber trat der jüngste von den Söhnen zu ihm

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