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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 9
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Schäfer, Wilhelm: Ein Städtebaumeister
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Jacques, Norbert: Kleine Mädchen-Spiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0152

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VOM STADTEBAU.

dieses schwierige Thema die scharfsinnigen
Darlegungen Henricis gelesen hat, der ist ordent-
lich versucht, mit dem Bleistift in die einzelnen
Baublöcke die rechtwinkligen Grundstücke ein-
zuzeichnen. Dabei wird ihm dann auch die an-
scheinende WiHkür in alten Stadtplänen auf ein-
mal als planvolle Ordnung aufgehen. Denn auch
auf das hat Henrici nachdrücklich hingewiesen,
wieviel sorgsamer die Alten darin arbeiteten.
Hier wird natürlich der Einwurf nicht aus-
bleiben, der gesteigerte moderne Verkehr mit
seinen elektrischen Bahnen verlange gerade
Straßen. Abgesehen davon, daß es angesichts
dieser beiden Pläne kaum eines Nachweises
bedarf, wo z. B. Geleise besser durchzulegen
seien; jeder Biick auf unsere modernen Straßen-
kreuzungen zeigt ja, wie hinderlich hierin gerade
die rechtwinkligen Abkehrungen sind, während
in dem Plan Henricis sowohl auf dem Haupt-
verkehrsweg, wie auf den schräg ableitenden
Straßen die Geleise praktisch einzufügen sind —
abgesehen davon gibt gerade Henrici ver-
blüffende Ausführungen, wie eine leicht ge-

LEINE MÄDCHEN SPIELE.
Von NORBERT JACQUES.
Als die Straße ein langes Stück gekrümmten
Wegs den Berg hinangelaufen war, verließ sie
das Städtchen durch ein kleines altes Tor, das
noch aus vergangener Zeit verträumt dastand.
Gleich hinter dem Tor füllte ihr Damm, so
breit er es nötig hatte, den alten Festungs-
graben und fiel jederseits mit einem kurzen,
jähen Abhang in die bewucherte Wildnis dieses
Grabens hinab. An den beiden Rändern des
Dammes stand je eine Reihe kräftiger, jugend-
voller Kastanienbäume, und dicht am Tore
beginnend, zogen sie eine schattige, düstere
Laube in die Straße, daß man im Gewühl ihrer
Decke kaum noch das liebe Turmfensterlein
sah. Laube und Tor schienen in einem still
versonnenen Beisammensein einander zuzu-
gehören.
Unter der Laube der Kastanienbäume stand
eine Bank. Sie war aus unbeschälten jungen
Tannenstämmchen errichtet, deren einer höher
hinaufging, um eine Rücklehne hochzuhalten.
Tiefer lag ein ehedem weißgehobeltes, nun aber
schon graues und vom Wetter zerfurchtes Brett.
Die Bank war so weit in die Straße hinein-
gestellt, daß die Wagen vermeiden mußten, an
dieser Stelle aneinander vorbeizukreuzen. Aber
auf ihrer Rücklehne stand der Name des Ver-
schönerungsvereines der Stadt.
Wenn man auf der Bank saß, sah man im
runden weißen Ausschnitt des Tordurchgangs
die Straße ruhiger Häuschen aus einer still
vergangenen Zeit lange und bequem in Win-
dungen bergab steigen, und gerade in der Mitte

bogene und im Terrain an- oder absteigende
Straße die schwierige Übersicht im lebhaften
Straßenverkehr für den Fußgänger und Kutscher
viel einfacher gestaltet als auf einer schnur-
geraden planierten Straße, wo tatsächlich ein
einzelner Wagen unter Umständen das ganze
Straßenbild verdecken kann.
Ich habe mich absichtlich an diesem einen
Beispiel aufgehalten, um zu zeigen, wie dieses
Buch überall nur kritisiert, indem es besser
macht. Wer seine 276 Seiten aufmerksam
studierte, dem ist es, als öffneten sich nach
allen Seiten lichtvolle Wege, wo man bis jetzt
in langweilige Fassaden eingemauert war. Ein
wahrhaftes Buch der Offenbarungen, ein Lehr-
buch und ein Handweiser, der auch auf dem
kleinsten Stadtbauamt nicht fehlen dürfte. Bp-
scheiden weist der Verfasser immer wieder a!s
auf den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen
und Vorschläge, auf Camillo Sitte zurück, dem
er das Werk widmete. Selten mögen Anregung
und Entwicklung in so schönem Verhältnis ge-
standen haben wie hier.

des Ausschnittes stand der Turm des alten
Münsters, der so drollig war, daß man ihn fast
nicht glauben konnte. Man sah ihn ganz, weil
die Kirche viel tiefer und das Tor schon in
gewisser Höhe lag.
Um die Bank aus ungeschälten jungen
Tannenstämmchen fand sich jeden Morgen ein
Rudel kleiner Mädchen zusammen. Sie kamen
frisch gewaschen, mit leuchtenden Backen und
halb bekleidet; man wußte nicht wie, ob einzeln,
ob zusammen. Sie waren plötzlich alle mit
ihren dicken Beinchen da. Jeden Tag sieben.
Dann fingen sie an zu spielen.
Sie gruben mit ernsten Gesichtern die bunten
toten Blätter, die von den Herbstbäumen helen,
in den Sand und pßanzten die letzten grünen
Zweiglein der Sträucher des Straßendammes auf
das Grab. Alle ein wenig zusammen und jede
ein wenig für sich allein. Die Anordnung, in
der sich die Zweiglein und Hölzchen steii
nebeneinander stellten, besaß nicht den geringsten
Plan. Sie standen in Ornamenten da, die
sich unbeholfen zeichneten, wie die jungen
Beinchen ihrer Künstler schwerfällig über die
Straße liefen. Ohne zu wissen: weshalb stehn
wir hier?
Und dann gleich drauf füllten die kleinen
Mädchen die Böden von Scherben mit Sand
und schlugen die Scherben hart auf die Bank,
daß die kleinen Sandkuchen fest geformt zurück-
blieben, wenn die Scherbe weggehoben wurde.
Die es besser machen wollten, schlugen ihre
Kuchen auf die Teller bunter Blätter. Sie
schrieen dazu, als feierten sie weiß Gott was
für ein heidnisches Gelage.
Und so waren gleich Grab und Festmahl
nebeneinander. Und noch andere ganz ver-
 
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