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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 8
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichte in Hinterwinkel, 6: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirten
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Hofmannsthal, Hugo von: Unterhaltungen über die Schriften von Gottfried Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0105

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WELTGESCHICHTE IN HINTERWINKEL.

Sie fragte mich, ob es denn wahr sei, daß
ich mit den Hamburgern hätte ziehen wollen,
um Musiker zu werden. Ich sähe so traurig
aus seit jener Einquartierung. AHerdings sei
ich schon vorher nicht sehr lustig gewesen.
Ob ich mich denn noch an das Garbenbinden
bei FüIIentonis erinnerte?
„Du warst freilich damals lebhafter als ich,"
sagte ich errötend. Denn die Püffe des Füllen-
toni helen mir ein.
Und noch an etwas anderes dachte ich. Ich
dachte an die Entdeckung, die ich damals ge-
macht hatte. Und ich errötete von neuem.
Cölestine schwieg. Aber ein schwerer Seufzer
entrang sich ihrer Brust. Nach einer längeren
Pause sagte sie wehmütig: „Ich ärgerte mich
damals recht über den Bauern, dich so vor dem
Vesperbrot wegzujagen. Du hättest beim Milch-
essen neben mir sitzen müssen, da wär ich
mit den Brocken nicht zu kurz gekommen."
Und sie lachte. „Aber du auch nicht; die
schönsten hätt ich dir hingeschoben. O, mir
wars so froh zumute damals."
„Du hattest an jenem Tage rötere Backen als
heute," antwortete ich scherzend, „dubistblasser
geworden seit dem Abzug der Preußen. Und
viel stiller. Man sollte meinen, du habest auch
einen heimlichen Kummer. Hast du etwa auch
mit nach Hamburg ziehen wollen, um Musikantin
zu werden? Oder Marketenderin?"
Die Cölestine lachte darüber nicht, wie ich
es erwartet hatte. Sie tat etwas ganz anderes,
sehr Verwunderliches. Sie sank auf ihr Reisig-
bündel nieder und begann laut zu weinen und
zu schluchzen. Umsonst fragte ich, was ihr
fehle. Ich erhielt keine Antwort. Und während
ich in meiner Bestürzung und Ratlosigkeit neben
ihr stand, erscholl durch den kahlen Buchen-
wald das Krächzen eines Hähers, der an einem
Kreuzweg auf einer Esche saß. Anders als
damals im Erntefeld klang jetzt sein Rufen . . .
So rätselhaft mir damals im Walde das
Betragen der bleichgewordenen Cölestine er-
T TNTERHALTUNG ÜBER DIE
U SCHRIFTEN VON GOTTFRIED
KELLER. Von Hugo v. Hofmannsthal.
Unter den jungen, nicht überjungen Freunden,
die in einer hölzernen, luftigen Laube saßen,
auf die Gartenecke gebaut, dort, wo die reben-
bekletterten Mauern zusammenstießen, kam das
Gespräch unversehens auf diese schöne leuch-
tende Materie.
Denn sie unterhielten sich zunächst keines-
wegs über Bücher, sondern über Feste, von
denen keiner weder daheim noch in der Fremde
ein besonders schönes wollte miterlebt haben,
es sei denn, daß aus der Kinderzeit noch die

schien, so unfaßbar blieb mir, heute in der
Kirche, der Sinn von dem, was im Schiff drunten
vor sich ging.
Die Cölestine kniete an ihrem gewöhnlichen
Platz; die übrigen Mädchen dagegen, die sonst
den Stuhl mit ihr teilten, hielten sich im Gange
und weigerten sich einzutreten. Ein Geraune
und Geplausche ging durch die Kirche und
wurde immer lauter und beunruhigender.
Dann sah ich, wie sich die Cölestine plötz-
lich erhob und mit wankenden Schritten ihre
Bank verließ. Sie sah heut noch blasser aus
als das letzte Mal im Wald. Ich glaubte, es sei
ihr übel geworden und sie wolle die Kirche
verlassen. Aber auf dem letzten Bänklein des
Schiffs, das Magdalenenbänklein genannt, sah
ich sie niederknien, neben der Hanne Stroh-
melker und einer andern Bettelfrau. Ihr bis-
heriger Stuhl wurde von den übrigen Mädchen
unter triumphierendem Gebaren in Besitz ge-
nommen.
Zu Hause fragte ich die Mutter, was denn
das mit der Cölestine sei, ich kann mich aber
nicht erinnern, was sie darauf geantwortet.
Den Tag über hörte ich dann genug Be-
merkungen über die Angelegenheit.
Ein Satz besonders klang als ewiger Refrain
an mein Ohr: Und auch noch von einem Preußen!
Es war für mich ein geheimnisvolleres Wort,
ein dunkleres Rätsel als vier Monate vorher das :
Scbleswig-Holstein meerumschlungen,
Schleswig-Holstein stammverwandt!
Aber etwas Schlimmes mußte der Cölestine von
einem Preußen, vielmehr von einem Hamburger,
geschehen sein. Das sah ich an der Wirkung
auf die andern, das sah ich an ihrem eignen
traurigen Aussehen. Ich konnte mich deshalb
nicht entschließen, meinen Hamburger Brief ab-
zuschicken. Wie sollte ich auch, wenn das
Menschen waren, die andere Leute unglücklich
machten ?
Also blieb ich vorderhand Geißbub und
Schneiderjung in Hinterwinkel.

Feuerkugeln und fallenden Funken eines schönen
Feuerwerks im Gedächtnis aufglühten. Nur das
alte liebliche Fronleichnam nahmen sie als öster-
reichische Landeskinder aus, aber von weltlichen
oder gar künstlerischen Festen und Umzügen, von
römischen, Münchener und Pariser Karnevalen,
die ihnen begegnet waren, hieß es, sie wären
nicht der Mühe wert gewesen. Dergleichen gibt
es ja gar nicht mehr, wurde kurz gesagt, es
existiert dies alles nur mehr in der „Woche",
nicht aber in der Welt. Da erinnerte einer an
die Bücher von Keller, die voll mit dergleichen
Festen sind. „Den ,Grünen Heinrich' haben mir,"
sagte der Legationssekretär, „diese nicht enden
wollenden Münchener Künstlerfeste auch wirk-
lich verleidet. Wie schön wäre das Buch, wenn

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