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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Schäfer, Wilhelm: Ein Plagiat?
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0289

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IN PLAGIAT?
Nachdem ich in der August-Nummer
dieser Zeitschrift die schöne Brunnenhgur von
Rudolf Bosseit aus der Kölner Ausstellung ab-
gebiidet hatte, erhielt ich einen Brief von Dr.
Heinrich Pudor, daß die Bosseltsche Figur ein
Plagiat seiner Statue ,,Le Champion de Mons"
sei. Wenn ich hier die beiden Arbeiten in
gleicher Größe nebeneinander abbilde, geschieht
es weniger, um ein Urteii des Lesers herauszu-
fordern (der erste Biick lehrt, daß es dessen
nicht bedarf: was hat die künstierische Arbeit
von Bosseit mit dem Diiettantenwerk von Pudor
anders zu tun, als eine äußerliche Ähniichkeit
in der Steliung beider Figuren?) sondern um an
diesem deutiichen Fail einmal grundsätziich
deti Begriff des Piagiats zu erläutern.
Man weiß, daß die grobe Nachahmung eines
Kunstwerks strafbar ist, aber auch, daß eine
gewisse Geschmeidigkeit den geistigen Diebstahi
auf ein Gebiet hinüberretten kann, wohin der
Richter nicht zu folgen vermag, wo infolge-
dessen das feine Zünglein der ,,Künstlerehre"
um so sorgfäitiger ausschlägt. Einzig in der
Architektur, die keinen richteriichen Schutz ge-
nießt, scheint auch der Schutz dieser Ehre zu
fehlen; hier scheint der Diebstahl in grober und
feiner Form erlaubt und die blendend aus-
gestatteten Architekturwerke würden kaum gang-
bare Buchhändiersachen sein, wenn sie nicht
ais Voriagewerke gebraucht würden. Sonst
genießt das Kunstwerk in Buch und Bild, Stein
und Noten einen Schutz, der leider, wie die
vieien öffentlichen Anklagen und auch Prozesse
zeigen, bedenklich schon in den Zustand einer
gewissen Hysterie sich verfeinert hat; oder
vergröbert, wie ich zeigen will.
Gegen die feinere Nachahmung gibt es näm-
lich trotzdem weder einen Schutz der Gerichte
noch der Öffentlichkeit, weil sie sich hinter
jenen Gefühlsgrenzen erst erkennbar zeigt, wo
der landläuhge Kunstgenuß aufhört. Ich las
vor einigen Jahren ein kleines Gedicht von
einem unserer Lyriker mit wachsendem Ent-
zücken, das zugleich Erstaunen war; denn ob-
wohl sein Name zu den berühmtesten gehörte,
hatte ich ihm diesen vollen Klang nicht zu-
getraut. Wie das so geht, summten mir die
Verse lange im Kopfe umher, bis mir der Zu-
fall eines Tags den ewig herrlichen Liliencron
in die Hand gab: da stand das Gedicht Wort
für Wort; das heißt es stand kein Wort von
dem andern da, und was dort von der Liebe
im Frühling gesagt wurde, war hier ein ein-
samer Novemberabend (ich fabuliere mit Ab-
sicht andere Inhalte, weil ich die Plagiatschreier
nicht vermehren möchte): aber das, was die
elementare Gewalt eines Gedichtes ausmacht, das
Schwergewicht der Laute und der Rhythmus
ihrer Folge, das war mit unheimlicher Treue ko-

piert, so daß nicht eine Silbe mehr oder weniger
darin war und nicht eine anders klang. Kein
Zweifel, dies war mehr als ,,Anlehnung", dies
war ein kompletter Diebstahl, ein Plagiat, in-
dem gerade die Vollendung eines Kunstwerks,
sein Bau, sein Kiang, sein innerer Organismus
gestohlen war, also das Künstlerische daran.
Da bin ich nun gleich, wohin ich woilte:
nichts vom Gegenstand, nichts vom Motiv war
benutzt; und so werden noch viele entzückte
Lippen die Verse sprechen und nur wenige den
geheimen Mißklang zwischen Ausdruck und
Inhalt spüren, der als die Folge jenes Dieb-
stahls bleibt. Das eigentliche Kunstwerk ist
heute wie immer vogelfrei, weil die Erkenntnis
einer Nachahmung mit an das innerste Kunst-
gefühl und an eine Einsicht gebunden ist, die
auch den Kunstfreunden nicht immer eigen ist:
wer hier beweisen will, muß mit den Dingen
beweisen, die zwischen den Zeilen stehen.
Vergleicht man die beiden fraglichen Figuren
ohne Kenntnis der Tatsachen, so könnte man
die von Pudor auf den ersten Blick für eine un-
geschickte Nachahmung halten, sie wäre aber
nicht unter die oben dargelegten Diebstähle zu
rechnen, weil gerade das Künstlerische in der
Bosseltschen Figur nicht, sondern nur eine Art
der Stellung wiederkehrt; also die Nachahmung
eines Stümpers, die sich selbst widerlegte und
weder von dem Richter noch von der Berufs-
ehre tragisch genommen zu werden brauchte.
Daß die Sache aber auf dem Kopf steht, daß
die Figur Pudors schon im Jahre i8g6 ausge-
stellt war, während die von Bosselt im Jahre
igo^ entstand, ist kein Zufall sondern gerade
typisch. Fast immer bei diesen Plagiat-Skan-
dalen wird einem Werk, das irgendwie zum
Erfolg kommt, irgend ein unbekanntes Werk
als ein bewußtes Original vorgehalten; und wie
in diesem Fall merken die angeblich Plagiierten
gar nicht die lächerliche Entfernung zwischen
den äußerlich ähnlichen Werken. Nach Pudor
ist diese Stellung seiner und der Bosseltschen
Figur, ,,so natürlich sie ist, in der ganzen Ge-
schichte der Kunst vor dem Jahre i8g6 nicht
anzutreffen". Er hat das anscheinend ernst-
licher geprüft als die beiden Figuren selbst;
wer Freude und Gefühl hat an der plastischen
Formensprache, wird über die Gemeinsamkeit
dieser Stellungen seine lustigen Zweifel haben,
mehr aber noch an der Empßndung, an dem
geistigen Gehalt. Nehmen wir an, die Bosselt-
sche Figur entspräche in jeder Wendung der
Muskeln der von Pudor, die verschiedene Art
der Beseelung würde schon hindern, hier von
einer Nachahmung zu sprechen. Mehr noch,
und jetzt muß der Leser mir bitte folgen:
nehmen wir an, Bosselt habe die Figur von
Pudor gekannt und sie bewußt überbildet:
Niemand in der Welt dürfte ihm, nun ein
solches Werk herauskam, eine Nachahmung


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