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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 7
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Hamann, Richard: Der Altersstil Rembrandts, Goethes, Beethovens
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0039

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ER ALTERSSTIL
REMBRANDTS, GOETHES,
BEETHOVENS. Von Dr. R. HAMANN.
Die spätesten Werke Rembrandts, Goethes,
Beethovens werden in unserer Zeit besonders
geschätzt, und das was an ihnen seltsam, wiil-
kürlich, formlos erscheint, ais Offenbarung eines
höchsten, souveränen Ausdruckes geheimnis-
voii gesteigerter Schöpferkraft verehrt und hin-
genommen. Das ist nicht zu jeder Zeit so
gewesen, und auch heute gibt es genug Leute,
die, kunstsinnig und kunstiiebend, doch vor
diesen ietzten Gewaitsamkeiten des Genies
zurückschrecken, und froh sind, in der phy-
sischen Sehschwäche Rembrandts, seiner Weit-
sichtigkeit, in Beethovens Taubheit eine Er-
klärung für das Unharmonische der letzten
Werke zu erhaiten, und Goethes Faust II ist
ihnen das unverständliche Werk, in das in
seitsamer Künstleriaune alles Mögliche heinein-
geheimnißt ist. Die Kreise, in denen diese
Kunst genossen und gefeiert wird, sind vor
aiiem solche, die auch zu der modernsten
Kunst ein nahes teilnehmendes oder ausübendes
Verhäitnis haben. Die Impressionisten rechnen
die Werke des späten Rembrandt wie zu den
ihrigen, finden sie doch hier dieselbe breite,
auflösende Technik. Die letzten Quartette,
Symphonien und Sonaten Beethovens werden
in den Kreisen der Wagnerianer mit beson-
derer Begeisterung gepHegt, und H. v. Büiow
ist ganz für sie eingetreten. Modernste Dichter
und Dichterschulen iernen von der Poesie des
aiten Goethe, und so ist es berechtigt, nach
dem Verhäitnis dieses Stiies der alten Künstier
zu jener Kuitur zu fragen, die wir mit einem
gemeinschaftiichen Namen zu benennen das
Recht zu haben glaubten, mit dem Namen, der
in der Maierei zuerst seine bestimmte Be-
deutung empfangen hat — Impressionismus.
Wir suchen den Impressionismus im Aitersstii
Rembrandts, Goethes und Beethovens auf, und
die übereinstimmenden Züge im Stil der ietzten
Werke dieser drei Gewaitigen soilen uns be-
stätigen, daß wir hier eine charakteristische
Lebens- und Ausdrucksform des Aiters, der
letzten Reife vor uns haben.*
Eine der spätesten größeren Kompositionen
Rembrandts ist das Petersburger Biid der
Rückkehr des veriorenen Sohnes (i668;6g). Ganz
im Sinne einer vöiiig unpiastischen Kunst ist
alies unkiar im Räumiichen und in der Form.
Aiies ist weich und aufgeiöst, im Dunkel ver-
hauchend oder vöilig verschwimmend. Das
Unbestimmte, Ungewisse gibt die Stimmung
her. Es fehlt ganz an regeimäßigem Aufbau
oder linearer Komposition. Vater und Sohn
sind ineinandergemalt, nicht, wie es der junge
* Vgl. Heft i u. 4 dieaet Jahrgangs.

Rembrandt in Kupfer zeichnete, nebeneinander,
wodurch eine rhythmische Komposition ent-
stand. Hier ist die überraschendste, die eigen-
mächtigste Ansicht gewähit, der heimgekehrte
Sohn vom Rücken gesehen, in schroffsten Ver-
kürzungen der knieenden Beine, so daß einem
die Sohien entgegenstarren. Es mutet rück-
sichtslos an, und doch ist dies Verbergen des
Gesichts von außerordentiicher Stimmung. Es
soli gleichgüitig bieiben, wer dieser Mensch
ais Individuum ist, nur seine thematische Be-
deutung, nur der Stimmungsgehait wira Bild:
der Veriorene, rein als sichtbarer Inhalt, ais
Symbol der Veriorenheit. Man sieht einen Ver-
brecherkopf, eine Gestalt in Lumpen, und die
Zerknirschung war nicht tiefer darzustellen, als
indem Rembrandt diesen Menschen den Kopf
im Schoß des Alten verbergen ließ. Und dazu
der Kontrast im Vater. Auch hier ist aiies
typisch: Miide und von Jahren beiastetes Alter,
Väterlichkeit und Verzeihen; Kopf und Hände
sind von einem Ausdruck, einer Stimmung,
daß man gar nicht fragt, wer ist dieser Mann,
daß man nur die ganze Füile von Seeie, Emp-
hndung, hier als Ausdruck sichtbar geworden,
auf sich überströmen iäßt. Man fragt auch
gar nicht, was geht hier vor, was geschah und
wird geschehen, rein das verweiiende iyrische
Thema einer Stimmung, von etwas Innerlichem,
bannt den Betrachter im Vorhandenen, es ist
wie tiefste Programmusik, Lyrismus der Motive
und der Komposition. Denn auch die begiei-
tenden Figuren nehmen nicht an einer Handlung
teil, sie sind nur Zuschauer; dreimal leuchtet
aus dem Chaos ein Kopf mit gespanntem Aus-
druck heraus, dasseibe Motiv dreimai wieder-
holt, nur jedesmal gesteigert, indem von hinten
nach vorn die Gestait mehr Licht und Kiarheit;
mehr Reaiität gewinnt. Es bieibt auch hier
eine Stimmung, zugleich unbestimmt und den
Sinn gefangennehmend. Es ist nichts, was aus
dem Biid herausführte, es auf eine bestimmte
Situation beziehen ließe. Diese in seitsam be-
fremdender Teilnahme verharrenden Gestalten
ziehen den Betrachter ganz hinein.
Das Bild ist unsymmetrisch, es herrscht kein
Gleichgewicht, wei) nicht ein iogischer Zu-
sammenhang das künstierisch Wichtige war,
sondern die Steigerung der Erregung, die Kon-
zentrierung der Wirkung zu einem erschüt-
ternden Moment in der Herausarbeitung einer
Stelie des Biides. Es ist in ietzter Linie der
Kopf des alten Mannes, der über ailes ieuchtet,
seeiisch und maierisch ein Zusammenballen
wie im Raum zerstreuter und verwehter Geistig-
keit. Dies bedingt bei dem alten Rembrandt
eine Voriiebe für das vergeistigte Porträt,
Porträte, die alie Wirkung eines Bildes in
der gesteigerten Heliigkeit eines mit Aus-
druck gesättigten Gesichts zusammendrängen,
so sehr, daß das Porträthafte, die Beziehung
auf eine bestimmte Person auch da ganz weg-


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