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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 12.1906

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Nr. 12
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Budde, Josef: Philipp Otto Runge
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https://doi.org/10.11588/diglit.26232#0299

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TDHILIPP OTTO RUNGE.
Von PubHkum und Kritik nicht ail-
zuviel beachtet, hing im Deutschen Saai der
Kölner Kunstausstellung ein merkwürdiges
Gemälde ,,Die Dehrstunde der Nachtigall".
Dem Leser ist es durch die erstmalige Re-
produktion in den ,,Rheinianden" bekannt. Die
Zeichnung der Gestalten ist fein, akademisch,
wenn auch nicht ganz korrekt; Fieischtöne
und Gewandfarben, weiR und biau, sind von
hervorragender Leuchtkraft. Aus tiefem Waldes-
dunkel treten säuberlich gemalt nur die
herausgebogenen Zweige und Blätter hervor.
Der Ausblick in die dämmerigen Lande ver-
ieiht dem Ganzen einen zarten Stimmungsreiz.
Der Rahmen ist in braunen Ton wie Halb-
reiief gemait. — Das Werk und sein Meister
sind wohi einmal unserer Aufmerksamkeit
wert.
Nach einem halben Säkuium vöiliger Ver-
gessenheit hat Alfred Lichtwark Ende der
achtziger Jahre aus dem Magazin der Ham-
burger Kunsthahe das erste Bild von Philipp
Otto Runge hervorgezogen, begeistertVeriorenem
nachgespürt und ihn ais Vorläufer des plein-air
geschildert, * der das künstlerische Ringen dreier
Generationen in naiver Tat vorweggenommen.
Alsbald fand diese, am meisten durch jenes
zuerst gefundene Bildnis der drei Hülsenbeck-
schen Kinder veranlaßte, Auffassung von Runges
Schaffen als einem ,,Vorspiel der Kunstent-
wicklung des ig. Jahrhunderts" durch R. Muther
weite Verbreitung. Seitdem ist Runge und
das allzu einseitig iür ihn betonte Programm
,,Licht, Farbe und bewegendes Leben"
(nach einem Wort Michael Speckters) ein Streit-
punkt der Kritik gewesen, bis die Berliner
Jahrhundertausstellung jüngst den Wert des
Malers wohl endgültig festgestellt hat. ,,Der Ruf,
der Begründer der Freilichtmalerei zu sein . . .
für den einzelne Sätze seiner Schriften ange-
führt werden können, läßt sich angesichts seiner
Taten nicht festhalten. Daß man gerade dieses
in ihm suchte, hat der Betrachtung seiner
Werke geschadet." (H. v. Tschudi, Einl. zur
Publ. der Ausstellg.)
Am meisten bekannt geblieben ist Runge
durch seine beiden Märchen. Zuerst im „Ein-
siedler" gedruckt, sind sie durch das Grimmsche
Buch uns allen befreundet: „Vom Fischer und
siner Fru" und „Vom Machandelboom" be-
sonders, wo das Leitmotiv an Gretchens
grausiges Irrelied erinnert. Mit seinem ganzen
Sinnen und Schaffen gehört unser Maler der
Romantik an. Engste Freundschaft mit ihren

* In seinem Buche über Hermann Kaufmann und die
Kunst in Hamburg i8g3.

Dichtern und Schriftstellern gewann für ihn
entscheidende Bedeutung. *
Als kränklicher, sinniger Knabe von zartem
Gemüte wuchs Runge zwischen zahlreichen
Geschwistern auf; früh schon nahm er die
Eindrücke der pommerschen Landschaft und
der Seeküste in sich auf, früh auch regte sich
sein bildnerisches Talent. Er lernte die Kauf-
mannschaft, weil er „doch mal etwas werden
mußte". Zwanzig Jahre war er alt, als ihn
vom alten Künstlerieid, unverstanden, in der
Entwicklung eingeengt zu sein, seines älteren
Bruders Einsicht befreite. Dieser veraniaßte
seine Ausbildung und übernahm in unbe-
grenztem Vertrauen zu Ottos künstlerischer
und moralischer Befähigung die materiellen
Sorgen — jener hats ihm in treuester Liebe
gedankt. Auch nach des Malers Tode blieb
Daniel Runge für sein Andenken tätig und gab
1840 seine Schriften und Briefe heraus. Im
Hamburger Kreise dieses Bruders fand Runge
verstehende Freunde, die Anregung an Herz
und Geist gebildeter Menschen. Die Familien
Perthes und Speckter gehörten dazu; ihre
Glieder haben sich im folgenden Jahrhundert
in Kunst und Leben tüchtig erwiesen; herzliche
Zuneigung faßte Runge auch zum frohen und
frommen „Vater Claudius" und blieb sein Leb-
tag eifriger Leser seines „Wandsbecker Boten".
Lebhaftes Interesse herrschte in dieser Ge-
sellschaft für die Literatur der Zeit, für Schiller
und Goethe und bereits für die aufsteigenden
Romantiker; das Künstlerleben und -sehnen in
Tiecks „Sternbald" schmeichelte sich in seine
Gedanken ein. Idealische Liebe zu einer uns
Unbekannten gab damals seiner jungen Seele
Nahrung.
In Hamburg vorgebildet, lernte Runge seit
iygg an der Kopenhagener Akademie, besonders
Zeichnen; seit Sommer 1801 nimmt er längst
ersehnten Studienaufenthalt in Dresden. Selten
liegt uns eine künstlerische Entwicklung in
den Jahren des Werdens, wie Runges Leben
und Streben in der grenzenlosen Aufrichtigkeit
seiner köstlichen Briefe offen. Erfüllt von
hohem Ernst für seinen Berul, rührend be-
scheiden bei manchem Lob und Auszeichnung,
ringt er, die breite Mittelmäßigkeit allein ver-
achtend, der Kunst wahres Wesen zu erfassen.
Er sucht seine Anschauungswelt zu bereichern,
vorzüglich auch die Musik sich nahe zu bringen,
und begeistert sich am katholischen Kirchen-
gesang. Es geht ihm die Erkenntnis aui, daß
die Bestrebungen seiner Zeit in den bildenden
Künsten auf Irrwegen sind; das kalte, vom
Studium der Antike allein ausgehende, von
* Vorzüglich vom titerarhistorischen Standpunkt handelt
Franz Schultz über Runge in Westermanns Monatsheften,
Febr. igo2. Die JHustrationen dort geben ein Bild von seinei
Eigenart.

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