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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Münzel, Gustav: Der Gang
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0181
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Der Gang.

wagerccht nach vorn, und damit waren diese endgültig
erledigt.
Die Angelegenheiten des Verstorbenen wurden als-
bald in Angriff genommen. Nach außen hin wurde alles
in Gang gebracht und die hinterlassenen Sachen und
Papiere gesondert, so daß das Zimmer bald leerer wurde
und ein wohnlicheres und geordneteres Aussehen erbielt.
Danach konnte der junge Maler auch daran gehen, gegen
den Ausland der Dumpfheit und des haltlosen Sichgehen-
lassens bei dem Fraulein Lautenbach anzugehen. Das
gelang ihm denn schließlich auch durch einen zugleich
festen und herzlichen Zuspruch, der auch den Willen des
Verstorbenen für sich geltend zu machen verstand, wenig-
stens insoweit, daß das Lebensschifflein des alten Frau-
leins in den stillen und gleichmäßigen Gewässern fahren
konnte, für die es nur mehr bestimmt war.
So konnte man den Maler oft mit schnellen Schritten
die Treppe hinaufeilen sehen und die warme Stimme
mit dem quellenden Lachen hören. Und seine Erscheinung
fiel in das Leben des Ganges hinein wie ein Stein in
einen rubenden Teich, zog heftige Kreise und wüblte
das Wasser auf bis zum Grunde.
Da Mannlicher Besuch in dem Hause nicht häufig
und gar der eines jungen Mannes von besonderer Selten-
heit war, so wurde das erste Auftreten des Malers von
den Bewohnerinnen des Ganges mit Erstaunen ausge-
nommen, und als er dann häufiger erschien, wurde
sein Kommen mit größter Anteilnahme verfolgt. Der
Austausch der Eindrücke und Beobachtungen der Frauen
über den Fremden hatte ein sehr günstiges Ergebnis.
Der Maler grüßte mit Freundlichkeit und der gehörigen
Achtung, wenn bei seinen Besuchen eine der Frauen auf
dem Gange stand, und es traf sich, daß oft mehrere dort
zu tun hatten, wenn er oben ankam. Sein übriges Be-
nehmen wie sein frisches Aussehen verstärkten die gute
Meinung von ihm. Das natürliche Verlangen nach ge-
naueren Kenntnissen über ihn konnte am schnellsten be-
friedigt werden, wenn man nicht abwartete, bis Fräu-
lein Anna Lautenbach engere Beziehungen zu ihren Ge-
nossinnen herstellte, sondern indem man selbst diese dazu
aufforderte. Frau Bachmeier wurde deshalb ausersehen,
die Einladung zu einem näheren Anschluß zu überbringen.
Das alte Fraulein war viel zu schüchtern, um Nein sagen
zu können, und es gelang Frau Bachmeier mit Leichtig-
keit, alles Gewünschte in kürzester Frist zu erfahren.
Die Mitteilungen des Fräuleins steigerten nun die neu-
gierige Teilnahme der Frauen an dem Besucher auf das
höchste. Denn das Fraulein Lautenbach hatte in seinem
Bericht einen guten Teil der Verehrung und Liebe für
den verstorbenen Bruder auf seinen jungen hilfreichen
Freund übertragen, und sie hatte sein Bild mit den
schönsten Schmelzfarben gemalt. Als Frau Bachmeicr
zuerst ihrer Freundin Pauline und dann den übrigen Ge-
nossinnen dieses Bild weitergab, wurde es immer
strahlender. Infolgedessen wurde Fräulein Lautenbachs
nähere Bekanntschaft alsbald gemacht, ein anfängliches
Mißtrauen der Frauen gegen sie wegen jugendlicher
Unreife und Unüberlegtheit — sie war erst Mitte der
Fünfzig — war bald überwunden, da sie sich ängstlich
und schüchtern gern dem überlegenen Urteil der älteren
unterwarf.

Frau Bachmeier kam nun öfters in das Zimmer des
Fräuleins Lautenbach, sie wußte, wann der Maler zu
kommen pflegte, und ein glücklicher Zufall fügte es,
daß sie gerade einmal anwesend war, als er ankam.
Es war sehr viel Würde und beherrschte Neugier in ihrer
Haltung, als sie seine persönliche Bekanntschaft machte.
Aber vor seinem frischen Wesen und fröhlichen Lachen
schmolz ihre zurückhaltende Überlegenheit, und sie war
sehr glücklich, als sie am Mantelkragen des jungen Mannes
die zerrissenen Enden eines Aufhängers wie schmerzlich
klagend über unbillige Vernachlässigung herausstarren
sah. Das gab ihr Anlaß, ihre guten Dienste anzubieten
mit dem Hinweis darauf, daß der geschulte Blick der er-
fahrenen Frau daran sofort seinen ledigen Zustand
erkannt habe, und daß dessen hier zutage tretender
übler Wirkung sofort ein Ende gemacht werden müsse,
und sie bitte sich zu diesem Zwecke den Mantel aus, um
ihn geheilt in einigen Minuten zurückzubringen. Diese
liebenswürdige Aufforderung war von einem gar süßen
Lächeln abgeschmälzt. Und Frau Bachmeier hatte nicht
ihren festen Charakter haben müssen, wenn sie nicht nach
einigem lachenden Widerspruch des Malers den Mantel
im Triumph in ihr Zimmer getragen hätte, Fraulein
Lautenbach etwas bedrückt und mit dem Gefühl für den
Stachel, den diese Rede der Frau Bachmeier für sie ent-
halten hatte, zurücklassend.
Der Aufhänger wurde das Band, an dem der junge
Maler auch zu den übrigen alten Frauen hinübergezogen
wurde. Denn es ergab sich bald, daß eine oder die andere
mit Frau Bachmeier auf dem Gange stand, wenn er
kann Dann wurde er in ein Gespräch gezogen, er scherzte
mit ihnen, sie erzählten ihm ihre kleinen Angelegenheiten,
und er wußte für manches Rat. Auch bat er einmal
Fräulein Johanna, sie bei Gelegenheit rasch skizzieren
zu dürfen, was sie gern gewährte, und sie erschien dazu
mit einer frischen Haube, deren neues Band in einem
milden Blau leuchtete. Das Bildnis wurde als ungemein
naturgetreu sehr gelobt.
Durch den Maler kam Bewegung in die stockende
Luft des Ganges. Er trat in das Leben der Frauen,
in dieses eintönige und schleppende Leben, als etwas
Neues und Unerwartetes, das ihre Phantasie nährte,
das ihnen Stoff zu Gesprächen gab und Inhalt ibrer
Träumereien wurde. So war für Fräulein Pauline,
ehe sie ihn noch gesehen und nur seine Stimme gehört
hatte, diese Stimme genug, um sich danach ein Bild
seiner Gestalt zu machen. Die Frauen freuten sich,
wenn er da war, und dachten an ihn, wenn er das Haus
verlassen hatte. Ihr öder und erstarrter Geist war in
eine starke Schwingung geraten durch diesen Mann.
Es war ein seltsamer und erstaunlicher Anblick, wie an
diesen verdorrten und abgestorbenen Zweigen, die zum
Abfallen reif waren, kleine neue Blätter hervorkamen.
Der Maler brachte den Frauen wieder, was sie längstens
verloren hatten. Sie blickten zurück in die Zeit ihrer
Jugend, deren Hoffnungen, Wünsche, Gedanken stiegen
wieder herauf und mischten sich mit den Vorstellungen
des Alters. Alles, was einstens Glanz in ihre Augen
gebracht und ihren Weg Heller erleuchtet hatte, kam zu
neuem Leben, als sie den Jüngling erblickten. Und sie
liebten ihn darum.

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