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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Münzel, Gustav: Der Gang
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0182

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Der Gang.
Seinen Einfluß sah man daran, daß FräuleinJosephine,
deren Gehör in der letzten Zeit ziemlich abgenommen
hatte, und der man laut ins Ohr sprechen mußte, bis
sie verstand, was man sagte, sogleich aufhorchte, wenn
der Name des Malers genannt wurde. Und der Gang
von Fraulein Johanna erhielt etwas Hüpfendes in seinem
Schlürfen, eine unwillkürliche Angleichung an den raschen
Schritt des Jünglings. Aber fast schauerlich war es anzu-
sehen, wie Frau Wibarius im Streit nut Frau Bachmeier
darüber, auf wessen Zimmer der Geburtstag des Malers
mit einem festlichen Kaffee gefeiert werden sollte, die
Unterredung siegreich durch eine Bewegung beendete,
die man bei ihr noch niemals gesehen hatte; sie hob den
welken, zitternden Arm und stieß ihn heftig nach vorn,
wie es der Maler zu machen pflegte, wenn er gegen einen
Widerspruch ankämpfte.
Wie es der Ausgang dieses Wortkampfes bestimmt
hatte, wurde denn auch die Feier in dem Zimmer der
Frau Wibarius abgehalten. Das Zimmer war unter
Beihilfe der anderen Frauen sorgfältig zu dem Feste her-
gerichtet worden. Alles erschien gereinigt und abgestaubt,
und auf den Möbeln glänzten die weißen, gehäkelten
Schutzdeckchen frisch gewaschen. Die rote Glutwolke des
Vesuvs und der warme Geysirsprudel auf der kalten Insel
Island glühten und dampften friedlich nebeneinander
über der Kommode hinter ihren sauber geputzten Gläsern
und Rahmen. Der Ofen verbreitete trotz des Frühlings-
wetters eine ziemliche Wärme und die Luft war erfüllt
von dein angenehmen Gerüche des Kaffees und des fest-
lichen Gebäcks. Alle Frauen waren versammelt. Auf
dem weißgedeckten Tische standen die Kuchen und große
goldgeränderte Tassen, die Frau Wibarius einstens mit
in die Ehe gebracht hatte und die nur bei feierlichen Ge-
legenheiten gebraucht wurden. Der Kaffee war noch
wohlgeborgen in mehreren Kannen unter den dicken
Kaffeewärmern, von denen Frau Bachmcier einen
dazu geliehen hatte. In die Mitte des Tisches hatte
Frau Wibarius ihren großen Gummibaum gestellt, der
die ihm gewidmete Pflege dankbar vergalt mit der feier-
lichen Steifheit seiner an lackiertes Blech gemahnenden
Blätter. Um ihn herum waren Sträuße von Levkojen,
Narzissen und Leberblümchen gruppiert.
Als der junge Maler in das Zimmer trat und die ver-
sammelte Gesellschaft erblickte, wurde ihm ein wenig
bange, aber er war von Natur beherzt und faßte sich bald.
Nach freundlicher Begrüßung und Beglückwünschung
wurde er auf das Sofa gesetzt, auf den Ehrenplatz,
gerade unter die Stelle, wo der goldene Ehekranz der
Frau Wibarius hätte hängen sollen. Wie er so saß und
die alten verwitterten Frauen ansah, die geschäftig an
dem Tisch um ihn herum wirtschafteten, kamen ihm die
Worte Bonapartes beim Anblick der Pyramiden in den
Sinn: Die Jahrhunderte schauen auf uns herab. Aber er
behielt diese Bemerkung für sich, denn so jung er war,
hatte er doch schon einige Lebenserfahrung. Der Kaffee
wurde eingeschenkt, und von dem Kuchen, auf dem mit
Zuckerguß Blumen und Herzen in erhabener Arbeit an-
gebracht waren, bekam er ein schönes großes Stück, und
Frau Bachmeier, die Frau Wibarius die Arbeit des Vor-
legens abgenommen hatte, gab ihm auch noch von den
verzuckerten Früchten dazu, die im Mittelteile des Kuchens

thronten. Alsbald kam eine angeregte Unterhaltung zu-
stande, in der sich nur das Fräulein Lautenbach in Anbe-
tracht ihres geringen Alters bescheiden zurückhaltend ver-
hielt, denn die Frauen sprachen meist von Dingen, die
sich in ihrer Jugend zugetragen hatten. Der Maler kam
durch diese Art von Gesprächen in einen merkwürdigen
Zustand, er verlor alles Zeitmaß; das jüngste Ereignis,
das erwähnt und wie eben geschehen behandelt wurde,
lag um fünfzig Jahre zurück, und wenn Frau Wibarius,
die durch die Jahrzehnte wie durch Wochen im Erzählen
eilend hindurchschritt, von den Schicksalen ihrer Familie
unter Napoleon sprach, so meinte sie stets den ersten dieses
Namens und nicht den dritten. Längst vergangene Ge-
schlechter behandelte sie wie Zeitgenossen. Alle über-
stellten fest, daß die gegenwärtige Zeit unbedingt als
eine solche des Verfalles mit bedenklicher Lockerung der
Sitten aufzufassen sei. Dann kam auch der Maler im
Erzählen an die Reihe, und er erzählte, wie er mit wenig
Geld zu Fuß in Italien gewandert sei und gemalt habe.
Aus seinem Berichte sprach eine solche unbekümmerte
Sorglosigkeit, daß in den Frauen, die von den Lasten
ihres langen Lebens zerdrückt und verkrümmt waren,
für den unbedachten Jüngling eine sanfte mütterliche
Zärtlichkeit sich regte. Eindringlich sprachen sie ihm von
seiner Zukunft und hielten ihm den Wert des Geldes
und einer gesicherten Stellung mit beredten Worten vor.
Doch der Maler wies ihre Befürchtungen und Bedenken
heiter zurück, und sie mußten schließlich lachen, als er die
schnurrige Bemerkung machte, wenn man schon gar
kein Geld mehr habe, könne man sich doch immer noch
ein schönes und kostenloses Vergnügen machen, man
brauche sich bloß in kalter Nacht aus seinem Bett zu
wickeln und in lustigen Geißsprüngen im Zimmer herum-
zutanzen, bis man vor Kälte klappere, um dann mit
unendlichem Wohlbehagen wieder in das warme Bett
zu kriechen. Nur Fraulein Johanna, die wärmebedürftige,
lachte nicht, sie dachte mit Schauder daran, daß sie ihr
mageres Gebein in lustigen nächtlichen Sprüngen
äußerster Verkühlung aussetzen solle, und bei diesem Ge-
danken wickelte sie sich mit allen Zeichen des Schreckens
fester in ihr Umschlagtuch.
Die Gesellschaft kam in heitere Stimmung, und der
Maler wurde aufgefordert, einige Lieder zu singen.
Er hatte seine Laute mitgebracht, und nun sang er mit
seiner kräftigen, wohlklingenden Stimme. Aufmerksam
hörten die Frauen ihm zu bei dem Gesänge der alten,
wohlbekannten Lieder, und ein Zustand von Weichheit
und Rührung kam über sie, als er: „Es zogen drei Burschen
wohl über den Rhein" anstimmte und das Bekenntnis
treuester Liebe in der Schlußstrophe hinaussang:
Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut'
Und werde dich lieben in Ewigkeit.
Bei dem nächsten Lied geschah etwas Außerordent-
liches. Kaum hatte er begonnen: „In einem kühlen
Grunde, da geht ein Mühlenrad", da wurden neben der
Männerstimme ein paar dünne, gebrechliche Frauen-
stimmen vernehmbar, und schließlich sangen alle Frauen
zusammen mit. Es war ein sehr seltsamer Chor, die alten
blechernen Stimmen mühsam gehalten von der kräftigen
Stimme des Malers, und so seltsam wie der Gesang

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