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Riehl, Berthold
Von Dürer zur Rubens: eine geschichtliche Studie über die deutsche und niederländische Malerei des 16. Jahrhunderts — München, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.36584#0065
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dem Künstler näher als das historische Ereigniss, aber um dessen Darstellung ist es ihm
doch noch in erster Linie zu thun, wie schon das Streben zeigt, den Eindruck des Ereig-
nisses auf das Volk zu schildern. In der folgenden Generation wie hei dem Holländer
Aertsen, vor allem bei Pieter Brueghel dem Aelteren überwiegt das Genre, dem lediglich
das Interesse des Künstlers zugewendet ist, dann aber sinkt die Historie bei Künstlern dieser
Richtung oft nur zum Titel herab, wie in den Marktbildern Joachim Buecklaer's (Schleiss-
heim und Nürnberg) oder in Jan BrueghePs Hafenbild mit der Predigt Christi vom Schilfe
aus (Nr. 682 der Münchener Pinakothek) und in vielen anderen Werken des späteren 16.
und des 17. Jahrhunderts.
Dieses allmähliche Losringen des Sittenbildes von der Historie erscheint, zumal in der
Landschaft, ja auch im Thierbild und Stilleben ein ganz analoger Gang vorliegt, historisch
interessant. Es beweist, welch grosser Wandlungen es in Auffassung und Stil, auch in der
Anschauung von den Aufgaben der Kunst bedurfte, um die Gattungen der Malerei auszu-
bilden, durch welche die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts so reich wurde, durch
die sie dem geistigen Leben ihrer Zeit erst vollen Ausspruch geben konnte. Jene Entwick-
lung der Gattungen aber, die sich am bedeutendsten in der niederländischen Malerei des
16. Jahrhunderts vollzieht, sichert allein schon dieser eine weit grössere historische Bedeutung,
als man sie ihr gewöhnlich einräumt.
Lucas van Leyden steht am Anfang dieser Bewegung, er ist ein interessantes Mittel-
glied zwischen der Kunst des 15. und jener des 16. Jahrhunderts, die ihren Abschluss im
17. Jahrhundert erreicht. Seine historische Stellung ist darin der des Massys verwandt, aber
sie wirkt einschneidender, weil sie eine direkte Nachfolge ßndet, um aber das, was sie ahnt,
was noch keimhaft in ihr steckt, wirklich auszusprechen, bedarf es doch noch ebensogut wie
für den grossen Stil des Historienbildes einer völligen Umgestaltung der Malerei. Da es
sich bei dem Genre um das Ausbilden sehr eigenartiger nationaler Züge handelt, so konnte
hier die italienische Kunst natürlich nicht so direkt vorbildlich wirken wie in der Historie,
ihr lag das Sittenbild ja entschieden ferner als den Niederländern, wenn auch die Bassani
und später namentlich Caravaggio (1569 bis 1609) durch die Gleichzeitigkeit begründet
verwandte Bestrebungen zeigen. Dagegen ist es auch hier wesentlich, dass italienische
Anregungen halfen, sich von der kleinlichen alten Art zu befreien, die Lucas van Leyden
noch stark eigen und vor allem eine wirklich koloristische Kunst auszubilden, in der das
Genre doch erst seine ganze Bedeutung entfalten konnte.
Lucas van Leyden zeigt in späteren Jahren starke italienische Einflüsse, man sieht darin
gewöhnlich nur ein unerfreuliches Zugeständnis an eine Modeströmung. Diese Schwenkung
ist aber doch tiefer begründet, er konnte sich der Erkenntnis nicht verschlissen, dass ein
starres Festhalten am Alten unmöglich war und er macht, wie seine Stiche von 1529 ganz
besonders auch die aus dem produktiven Jahr 1530 zeigen, unter dem Einfluss der Italiener
zumal im Akt entschiedene Fortschritte. So ausgesprochen niederländisch, ja echt holländisch
die Art des Lucas van Leyden war, so interessant er dadurch als Vorläufer Rembrandt's
erscheint, so führte der Weg zu dessen freier Kunst so rein holländisch sie ist, eben doch
naturgemäss durch die italienische Schule.
 
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