Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
196

7. Sittenbild und Stilleben bei den Niederländern des 16. Jahrhunderts.
Die genreartige Gestattung der kirchlichen Historie, auf die Lucas van Leyden hinwies,
gewann später in Rembrandt's biblischen Bildern eine neue grosse Bedeutung, zunächst
aber gestaltete sie das Historienbild zum Sittenbild und musste, um so bestimmter zur
Scheidung beider führen, da ja gerade damals unterstützt durch die italienischen Einflüsse
sich das Streben so mächtig regte, für das Geschichts- vor allem für das Kirchenbild einen
seinem Wesen entsprechenden, grossen Stil zu schaffen. Das Sittenbild aber, dem die
Eigenart deutscher und niederländischer Kunst so günstig war, zur selbständigen Gattung
auszubilden, dazu trugen noch mannigfache andere Umstände wesentlich bei.
Als die Gemälde keineswegs mehr nur für die Kirche entstanden, sondern auch auf
das mannigfaltigste zum Schmuck der Zimmer des Schlosses, dann auch in immer weiterer
Ausdehnung zu jenem reicherer Bürgerhäuser verwerthet wurden, was in den Niederlanden
offenbar schon früh geschah und zu van Mander's Zeiten schon allgemein gebräuchlich
gewesen sein muss, da wuchs natürlich die Bedeutung der profanen Stoffe für die Malerei
ganz erheblich und der immer weitere Kreis, für den die Kunst schuf, war durch seine
vielseitigen Interessen von wesentlichem Einfluss auf die Gedanken, welche die Maler be-
schäftigten.
Man führte daher die einzelnen Genrefiguren und Genrescenen, wie man sie bisher in
Stich oder Schnitt gegeben, gern im Bilde aus, man suchte ihnen wohl auch, indem man
moralisierte und allegorisierte, wie namentlich Bosch in seinen Stichen, der alte Pieter
Brueghel dann auch in seinen Gemälden eine höhere Bedeutung zu verleihen.
Mehr noch als diese äusserlichen Zuthaten hob den Werth solcher Bilder, dass der
neue Stil Volk und Volksleben ganz anders erfassen und darstellen konnte, als jener zu
Beginn des 16. Jahrhunderts, der noch so eng mit der Weise des 15. Jahrhunderts und
dadurch mit der mittelalterlichen Kunst verwachsen war. Gerade für das Genre- und Sitten-
bild spielen ja rein malerische Qualitäten eine ausserordentlich grosse Rolle, die Freude an
dem Erfassen und Wiedergeben der eigenartigen malerischen Erscheinung ist doch sehr
häufig unleugbar der erste und letzte Grund manches vortrefflichen Genrebildes. Die tech-
nischen Fortschritte und stilistischen Wandlungen der niederländischen Malerei des 16. Jahr-
hunderts waren daher für das Sittenbild von massgebender Bedeutung, wie andererseits bei
der stetigen Wechselwirkung von Form und Inhalt, die Zunahme des Genre und Genre-
artigen entschieden wesentlich auf die freiere Auffassung und damit den Vortrag dieser Zeit
wirken musste.
Für die reichere Stoffwelt und deren tieferes Erfassen ist jetzt ebenso wie zu Beginn
der Renaissance, wo sie in Dürer's Stichen keimte, die Theilnahme des Künstlers an dem
geistigen Leben der Zeit sehr wichtig, das angeregt vor allem durch das jetzt sehr ge-
steigerte Reisen begann, zuerst draussen, dann auch daheim Land und Leute sorgfältig zu
beobachten.
In den Künstlerkreisen hatte sich die Sitte einer Studienreise als Abschluss der Lehr-
jahre erhalten, anschliessend an den guten alten Zunftgebrauch; das Ziel der Reise war
jetzt gewöhnlich Italien. Der Werth dieser italienischen Reisen aber beschränkte sich
keineswegs, so wichtig dies war, darauf dass sie eine lebendige Fühlung zwischen nieder-
 
Annotationen