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Die nordische Kunst der Spätrenaissance, des Barock und Rokoko wurde vom 19. Jahr-
hundert lange nicht richtig gewürdigt, nicht einmal in ihren Spitzen wie Rubens und
Rembrandt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts trat darin allmählich ein bedeutender
Umschwung ein. Der Kampf, der im Anfang des Jahrhunderts zunächst gegen Rokoko und
Zopf geführt werden musste, mit dem jenes schiefe Urtheil über das 16. und 17. Jahr-
hundert auf das innigste zusammenhing, war jetzt längst entschieden, auch seine mäch-
tigen Nachwirkungen hatten sich verflüchtigt. Man trat jenen Perioden objektiv gegenüber
und erkannte, dass ihre Existenz ebenso berechtigt wie die anderer Epochen, ja ihre künstle-
rischen Reize wirkten so mächtig auf die Gegenwart, dass wir zuletzt nachahmend in etwas
mehr als zwei Jahrzehnten noch einmal den konsequenten Gang von der Renaissance durch
Barock und Rokoko bis zum Classicismus durchlebten.
Die Kunstgeschichte stand, wie sie dies soll, mitten inne in diesem künstlerischen Leben,
bald fördernd bald folgend und es erwuchs ihr daraus der grosse Yortheil eines feineren
Verständnisses und damit eines gerechteren Urtheils über jene einst so stiefmütterlich be-
handelten Zeiten. Die kunstgeschichtliche Litteratur wurde jetzt ausserordentlich bereichert
mit Detailstudien, sie erhielt auch eine Reihe trefflicher Darstellungen der einzelnen Perioden
in Monographien, wie in zusammenfassenden Kompendien, was man aber weniger beobachtete,
ist die Entwicklung von der Renaissance zum Classicismus, auf deren innere Noth-
wendigkeit schon das Wiederholen desselben Ganges im 19. Jahrhundert hinweist.
Eine äusserst wichtige Rolle spielen in dieser Entwicklung die Beziehungen der Kunst
des Nordens zu der Italiens, obgleich in ihnen nicht, wie man häufig annahm, schlecht-
weg der massgebende Faktor für die Entwicklung der nordischen Kunst dieser Periode
liegt. Man strebt vielmehr diesseits wie jenseits der Alpen selbständig nach verwandten
Zielen, aber Italien erreicht sie früher und dadurch gewinnt seine Kunst wesentlichen
Einfluss auf den Norden.
Diesen Einfluss Italiens auf den Norden betrachtete man bisher in Spätrenaissance und
Barock in der Regel lediglich als eine sehr bedauerliche Modeströmung, welche den natio-
nalen Charakter der deutschen und niederländischen Kunst auf das empfindlichste schädigte.
Es fehlt auch wirklich dieser Bewegung, wie all solchen Uebergangsstadien, keineswegs an
gar mannigfaltigen Verirrungen und in der That wurde der italienische Einfluss zuweilen
zur „Mode", was in der Kunst stets höchst bedenklich. Das darf uns aber doch nicht
hindern anzuerkennen, wie mächtig andererseits die nordische Kunst durch die italienische
gefördert wurde, mit deren Hülfe sie im 16. Jahrhundert so grosse Fortschritte machte, dass
die Malerei des 17. Jahrhunderts vor allem in Rubens und Rembrandt als Hochrenaissance

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