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Beobachter des Malerischen zeigt. Bei Blättern wie die Rückkehr des verlorenen Sohnes,
bei den beiden Bildern aus dem Buch Esther und dem Abschied Hagars von Abraham und
namentlich bei dem Stich von 1519 den Freuden der heiligen Magdalena war eine solche
Auffassung durch den Stolf nahe gelegt, nicht so unbedingt war dies der Fall, wo sie
sich am selbständigsten und bedeutendsten zeigt bei der Bekehrung des Paulus (1509), vor
allem aber bei der Schaustellung Christi (1510) und der Kreuzigung (1517). Der stattliche
Zug der Krieger, der den erblindeten Feldherrn begleitet, fesselt Lucas van Leyden bei der
Bekehrung des Paulus mehr als das Wunder an dem Apostel, das er nur klein im Hinter-
grund andeutet und die bunte Volksmenge, welche von der Schaustellung Christi ergriffen
wird, ist ihm interessanter als diese selbst.
Lucas van Levden steht hier keineswegs allein, auch andere wie besonders Hieronymus
Bosch van Aken, der zwischen 1460 und 1464 geboren etwa ein Altersgenosse des Massys,
haben ähnliches versucht.i) Aber Lucas griff die Richtung am interessantesten und folge-
wichtigsten auf und trotz der erheblichen originalen Bedeutung des Bosch und trotz des
Ansehens, in dem er bei seinen Zeitgenossen stand, scheinen gerade seine für die Geschichte
des Genre wichtigsten Blätter erst später allgemein gewürdigt worden zu sein, als die von
Lucas van Leyden ausgehende Richtung sich breiter entwickelt hatte und H. Cock etwa in
den Jahren 1550—1570 eine Reihe von Stichen nach Bosch verlegte und sie dadurch grössere
Verbreitung fanden.^)
Diese eigenartige Auffassung des Historienbildes durch Lucas van Leyden förderte das
Sittenbild offenbar weit mehr als seine wenigen in ihrem Stoff ziemlich engbegrenzten
Genrestiche; denn während diese an der vielfach schon im 15. Jahrhundert versuchten
schlichten Wiedergabe des malerischen Reizes von Gestalten aus dem Alltagsleben stehen
blieben, streift der Künstler, der prächtige Genregestalten wie z. B. in dem Gefolge der
hl. drei Könige (B. 74 von 1513) gern in die Historie einflicht, in dieser die bedeutendste
Aufgabe des Sittenbildes das Leben des Volkes zu schildern. Durch seine Stiche konnte Lucas
van Leyden auf breite Kreise wirken, für die Maler speziell aber war es nicht unwichtig,
dass nach van Mander's Bericht auch eine Reihe seiner Gemälde die gleiche Auffassung
zeigten, wie der Tanz der Kinder Israels um das goldene Kalb, die Begegnung Rebekka's
und Elieser's am Brunnen oder die Heilung des Blinden in Jericho (jetzt in Petersburg).
Zur gleichen Zeit da in Antwerpen Quinten Massys anknüpfend an die ältere Kunst
für die Historie zunächst für das Kirchenbild auf den grossen Stil hinweist, regt der Holländer
Lucas van Leyden gleichfalls in Antwerpen thätig und auf dessen Kunst nicht ohne Einfluss,
auch anknüpfend an die Kunst des 15. Jahrhunderts eine ganz entgegengesetzte Auffassung
des Historienbildes an, auch sie sollte eine bedeutende Zukunft haben, zunächst jedoch nicht
für die Historie, sondern für das Genre, zu dem sie nothwendig führen musste.
Der Gang des Sittenbildes lässt sich knapp etwa wie folgt skizzieren. Im 15. Jahr-
hundert hatte man, um das Historienbild zu beleben, naiv genreartige Züge eingeflochten,
mit Lucas van Leyden tritt das Genreartige mehr in den Vordergrund, man sieht, es liegt

9 Berthold Riehl: Geschichte des Sittenbildes in der deutschen Kunst bis zum Tode Pieter
Brueghel des Aelteren. Berlin u. Stuttgart 1884. S. 101 u. ff.
9 Ebenda S. 107 u. 128 f. und Julius Meyer: Künstlerlexikon. I. 96.
 
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