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Ross, Ludwig; Schaubert, Eduard; Hansen, Christian
Die Akropolis von Athen nach den neuesten Ausgrabungen, Erste Abtheilung: Der Tempel der Nike Apteros — Berlin, 1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.949#0016
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Fries des JViketempels.

Fries der Ostseite.

sind. Allein in ihrer flüchtigen oben i5 mitgetheilten Beschreibung des Tempels erwähnen sie des Frieses nur mit
wenigen und unklaren Worten; Wheler vergreift sich in dem Ausdruck, indem er die Basreliefs an den Architrav
versetzt, und Spon, welcher selbst sagt, dass sie an dem Siegstempel vorübereilten, um den Parthenon zu sehen,
hatte offenbar nur Eine Seite des Frieses ziemlich ungenau betrachtet, als er schrieb: „der Fries hat ein Basrelief
„von kleinen Figuren von guter Arbeit, von welchen die eine sitzt, und neun bis zehn vor und hinter ihr stehen 16 17 *.”
Diese Seite war, begreiflicher Weise, die Ostfront des Tempels, an welcher die Reisenden vorübergehen mussten,
um zum Parthenon zu kommen. Die Reliefs dieser Seite haben sich, wenn gleich stark beschädigt, fast vollständig
wiedergefunden. Was von dem Friese der Ostfa^ade noch vorhanden ist, besteht aus der kurzen Seite des südöst-
lichen Eckstückes (in unseren Tafeln mit a bezeichnet), dem Stücke b (in zwei an einander passenden Fragmenten),
und dem Stücke c, von welchem aber das Ende zur Rechten beschädigt ist. Dazu fehlt noch die kurze Fläche des
nordöstlichen Eckstückes d.
Diese Stücke bilden zusammen eine Länge von beiläufig fünfzehn Fuss, und enthalten nicht weniger als vier
und zwanzig Figuren. Wenn man dazu rechnet, dass am rechten Ende des Frieses wenigstens vier bis sechs
Figuren fehlen, so muss die ganze auf der Ostseite dargcstellte Gruppe aus acht und zwanzig bis dreissig Figuren
bestanden haben.
Von dem Gegenstände des Frieses der Ostfa^ade lässt sich, da allen Figuren ohne Ausnahme die Köpfe, den
meisten aber auch die Hände nebst den charakteristischen Attributen fehlen, und fast bei allen die übrigen Thcile
des Körpers und die Gewänder ebenfalls mehr oder weniger stark beschädigt sind, wenig Sicheres erkennen; man
sieht nur, dass es eine Götterversammlung ist, und der Name des Tempels, über dessen Eingänge diese Reliefs
angebracht waren, berechtigt nach anderen Analogien13 zu vermuthen , dass der Vorwurf der hier dargestellten
Handlung der Mythos von der Nike Apteros, und mithin die Erklärung und Begründung ihrer Benennung ist.
Diese Vermuthung habe ich schon bei der ersten Auffindung der Reliefs an einem andern Orte19 ausgesprochen;
ich weiss sie auch jetzt weder durch eine richtigere zu ersetzen, noch vermag ich sie durch Nach Weisungen aus der
Attischen Localmythologie zu begründen. In den uns erhaltenen schriftlichen Denkmalen des Altcrthums scheint
sich durchaus keine Darstellung des offenbar rein Attischen Mythos von der Nike Apteros, noch irgend ein weiterer
Aufschluss über ihre Benennung zu finden, als der ziemlich ungenügende, den Pausanias in einer der oben ange-
führten Stellen 20 giebt.
In der obigen Voraussetzung nun erkennen wir den Mittelpunkt der Handlung in Zeus, der am linken Ende
der Platte c und ziemlich in der Mitte der ganzen Composition, auf einem zierlich gearbeiteten Lehnsessel sitzt,
und die Füsse auf einen vor ihm stehenden Schemel stützt. Sein Kopf und Oberleib sind mit der obern Ecke des
Marmors abgebrochen, und durch denselben Bruch ist auch eine Figur (wahrscheinlich Ganymedes) verloren
gegangen, die vor ihm stand, und von der nur ein Rest der Beine übrig ist. Die Bewegung aller übrigen Figuren
ist von beiden Seiten her gegen Zeus gerichtet. Wir wenden uns zuerst zu den Figuren, welche von Zeus aus-
gehend dem Beschauer zur Linken sind.
Zunächst vor Zeus und Ganymedes steht, am rechten Ende der Platte 6, Athene, am linken Arme einen
runden Schild tragend, während sic mit dem halbvorgestreckten rechten Arme, der unter dem Ellenbogen abgebrochen
ist, sich wahrscheinlich auf ihre Lanze stützte. Dann folgt eine männliche Gottheit, auf einem Felsen sitzend,
vielleicht Poseidon2*, der in einer, auf die gedoppelten Siege des land- und seebcherrschcnden Athen bezüglichen
allegorischen Darstellung nothwendig einen der ausgezeichnetsten Plätze einnehmen musste. Hinter dem Erderschüt-
terer zeigt sich eine Gruppe von zwei Personen. Eine weibliche Gestalt, stehend und en face gesehen, hatte, wie
es scheint, ihre rechte Hand auf die Schulter eines Mannes gelehnt, der in einer nachlässig bequemen Stellung,
mit vorgebeugtem Obcrleibe und übereinander geschlagenen Beinen, so dass das Gewicht des Körpers nur auf dem
rechten Beine ruht, auf eine unten abgebrochene Lanze sich lehnend neben ihr steht; sein linker Arm liegt auf
dem Schaft der Lanze, die er unter seine linke Achsel gestemmt hat; mit der rechten Hand hält er einen rundlichen
Körper, vielleicht seinen Helm, gegen seine Brust. Die jugendlich kräftigen Formen dieser Figur, die eine grössere
Nacktheit zeigt, als die übrigen männlichen Gestalten des Frieses, so wie die Lanze, auf die sie sich stützt, dürften
sie hinlänglich als Ares bezeichnen. Die schon erwähnte weibliche Gestalt, zwischen dem Ares und dem Poseidon,
die ihre Hand auf seine Schulter gelegt hatte, und gegen die er mit seiner ganzen Figur gewandt ist, wäre dann
Aphrodite. Auf diese Gruppe folgen drei einzeln stehende Figuren: eine männliche in der Mitte zweier

16) Vgl. oben Absclin. 3, Anm. 82.
*7) Durch ein Missverständniss haben Cockerell und Leake die Worte Spons
so gedeutet, als wäre ein Theil des Reliefs vorn, ein Theil hinten am
Tempel angebracht gewesen, und haben sich vorzüglich durch diese falsche
Auslegung bei ihrer Restauration des Tempels in die Irre führen lassen.
(Leake, Topographie S. 257 der deutsch. Uebers.). Vgl. hierüber Kunst-
blatt 1835, Nr. 79.
ls) So die Geburt der Athene und ihr Sieg über Poseidon in den Giebelfeldern
des Parthenon; die Thaten des Herakles in den Giebelfeldern des Hera-
kleion in Theben (Paus. 9, 11, 4); die Erscheinung der hülfreichen Athene
inmitten der Kampfgruppen in den Giebelfeldern des Athenentempels (des
vermeinten Tempels des Panhellenischen Zeus) auf Aegina u. s. w.
19) Kunstblatt 1835, n, 79. Wenn die dort gegebene Beschreibung nicht
in allen Punkten mit der gegenwärtigen übereinstimmt, so rührt dies daher,
dass damals die kaum gefundenen Reliefs noch mit einer Kruste von Kalk-
jnörtel überzogen, und daher verschiedene Einzelheiten nioht ganz kenntlich
waren.
2U) Paus. 3, 15, 5; s. oben Absolm. 3, Anm. 87. — Ich muss mich damit
begnügen, hier einen Gegenstand kurz anzudeuten, dessen weitere Ausführung
die Gränzen dieser Anmerkung überschreiten würde. Aristophanes sagt
an einer Stelle, wo er zum Tröste der Vögel die geflügelten Götter auf-
führt, in den Vögeln V, 574:

avtixa Nixi] nertTai nriQvyoiv xfnrtdtv, xai vq Ji’ 'Eqw; ys, und der
Scholiast bemerkt hierzu: veoneqixov To Tijv Nixijv xai top ''Eqiara
'AqytPPovs ydg ([rfii, xai top BovndXov xai Idthjviäog
naisqa, oi de ’AyXaotpcSPTa zdp Qdrtiop ^oiyqdcfop, 7tTi]pijp eqydaaß&ai
iqp Nixqp' us ol neql KaqvOTiop top HeQyapi;pöp ifaGip, wozu Silligs
vorgeschlagene Verbesserung (Catal. Artif. p. 25.) zu vergleichen ist.
Wenn die Notiz des Scholiasten gegründet ist, so wäre also die Darstel-
lung der Siegsgöttin mit Flügeln nicht älter anzunehmen, als die
Lebenszeit eines der beiden Aglaophon, von denen Sillig (ebend. p. 24.)
nach Böttiger (Archäol. der Mal. I, S. 269) den älteren um die 7Oste,
den jüngeren um die 90ste Olympiade ansetzt. Diese ganze Nachricht
würde aber die Angabe des Pausanias (a. a. O.) nichtig machen, der die
Bildung der Nike ohne Flügel als etwas Ungewöhnliches, von den
hergebrachten Regeln Abweichendes darstellt, womit die Athenäer (und
folglich auch die ihrem Beispiele folgenden Mantineer, Paus. 5, 25, 6;
s. oben Absclin. 3, Anm. 88) einen besonderen Sinn verbunden hätten,
eben wie die Lakedämonier mit dem Bilde des gefesselten Kriegsgotts.
Mögen begünstigtere Archäologen sich veranlasst finden, diesem Gegen-
stände weiter nachzuforschen.
21) Dafür hielt ihn auch Herr Dr. Kramer im Bullett. dell’ instit. di corrisp.
arch. 1835 p. 113 —120.
 
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