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Ross, Ludwig; Schaubert, Eduard; Hansen, Christian
Die Akropolis von Athen nach den neuesten Ausgrabungen, Erste Abtheilung: Der Tempel der Nike Apteros — Berlin, 1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.949#0022
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18

Balustrade des Unterhaus.

Niketempels selbst, und sogar als die Reliefs am Parthenon und am Tempel von Phigaleia. Eine genauere
Zeitbestimmung können wir hier nicht wagen, da uns jeder Anhaltspunkt fehlt; indess waren die Siege der Athcnäer
von der Schlacht bei Chäroneia an, so wenig zahlreich und bedeutend, und mithin die Gelegenheit zu Aufstellung
von solchen Weihgeschenken — sei es durch das Volk selbst, oder durch den siegreichen Feldherrn — so spärlich
ihnen zugemessen, dass uns scheint, als ob die Veranlassung dazu nicht diesscit der Makedonischen Zeit zu suchen
sein möchte. Durch diese Betrachtung werden wir in den Zeitraum der Siege des Konon, Iphikrates, Chabrias
und Timotheos, und der trefflichen Finanzverwaltung des baulustigen61 Redners Lykurgos zurückgewiesen; und
hier dürfte, nach unserer üebcrzcugung, die Veranlassung zu Errichtung dieses prächtigen und geschmackvollen
Weihgcschenkcs zu suchen, und eine Andeutung darüber vielleicht in irgend einer übersehenen Stelle eines Scho-
liasten oder Grammatikers zu finden sein62.
Der Versuch einer ins Einzelne gehenden und bestimmteren Deutung der Reliefs dieser Balustrade muss
hier um so mehr aufgegeben werden, als sich noch nicht absehen lässt, wie weit sich die sehr zahlreichen kleineren
Bruchstücke unter der Hand eines geschickten Bildhauers wieder zu grösseren Ganzen werden vereinigen können 63.
Denn erst dann kann ermittelt werden, ob diese Bildwerke, die äusserlich eine fortlaufende Reihe bildeten, auch
durch eine durchgehende Handlung verbunden waren, wie dies auf den ersten Blick das Wahrscheinlichste scheint;
oder ob jede Platte für sich eine geschlossene Gruppe darstellte, wie dies nach dem Charakter der Platte A und
aus dem Umstande, dass auf keinem der vorhandenen Bruchstücke Thcile einer Figur auf die andere Platte hinüber-
reichen, gefolgert werden möchte. Eben so wenig wagen wir, aus den oben bei Gelegenheit des Frieses entwickelten
Gründen, eine Vermuthung über den Künstler.
Die nachstehende Beschreibung der ersten Platte (J) entlehnen wir grösstenteils einem früheren Aufsatze64:
„Zwei bis auf die Füsse bekleidete geflügelte Nikon sind, wie cs scheint, beschäftigt, einen unbändigen Stier zu
„fangen oder fortzuzichcn. Die Figur zur Linken (des Beschauers) ohne den Kopf und den rechten Arm, lehnt
„sich halb sitzend auf den Hintertheil des Stiers, und nach der Wendung ihres Oberleibes und ihres linken Arms
„zu schliessen, hielt sie mit einer oder beiden Händen einen um seine Hörner geschlungenen Strick. Die zweite
„Nike nimmt den äussersten rechten Thcil des Bildes ein; sic ist aufrecht, in lebhafter Bewegung, und scheint
„mit dem Oberkörper dem Stosse des Stiers, der sich mit dem Vordcrleibe zwischen beiden Figuren wie zum
„Sprunge aufrichtet, ausweichen zu wollen. Auch ihr fehlen Kopf und Arme, welche jedoch gegen den Stier
„gelichtet waren, sei es, um seinen Stoss abzuwehren, oder um ihn bei den Hörnern zu fassen; vielleicht auch —
„denn die Art der Handlung ist nicht mit Bestimmtheit zu erkennen — hatte sie ihm bereits einen Strick um
„die Hörner geschlungen, um ihn daran fortzuzichcn. Kopf und Vorderbeine des Stiers sind abgebrochen. Die
„Flügel der Nikcn sind nur angedeutet, nieht ausgeführt65. Der Leib des Stiers ist gut erhalten. Die Composition
„der ganzen Gruppe ist vortrefflich, voll Leben und von erstaunlicher Wirkung; der Faltenwurf des fliegenden
„Gewandes der Nike zur Rechten von unglaublicher Kühnheit66.”
Die Platte B, deren linke Hälfte fehlt, zeigt eine Nike in gebeugter Stellung, welche den rechten Fuss
emporziehend, mit der rechten Hand etwas an der Sandale zu nesteln scheint. Der Kopf und die linke Hand,
vom Handgelenke an, sind abgebrochen. Die Haltung und die Drappirung dieser Figur sind von vorzüglicher
Schönheit, und es ist eine hohe keusche Anmuth darüber ausgegossen, die gegen das etwas Manierirtc der zweiten
Nike auf Platte A einen gefälligen Gegensatz bildet.
C, I) und E sind drei der ausgezeichneteren unter den übrigen Bruchstücken. Die Figur 1) hat Kreuzbänder
über der Brust. Das Bruchstück E ist von der äussersten Nordwestecke des Unterbaues, wohin cs auch in der
Ansicht auf Tafel IV gesetzt worden ist. Man erkennt dies an der Art, wie der Fuss der Platte hinten ausgeschnitten
ist, um genau an und auf die unterste Stufe des Tempels und die schmale Sockelplatte unter derselben sich an-
zuschlicssen.

6)) Pseudo-Plutarch. Leben der zehn Redner S. 841 und 852 C. Paus.
1, 29, 16. — Vgl. Nissen, de Lycurg. orat. vita (Kiliae 1S33. 8.) p.
49 — 52.
62) Lykurgos hatte namentlich goldene Niken auf die Akropolis, wol in den
Parthenon, geweiht; vielleicht anch in unsern Niketempel (vgl. die in der
vorstehenden Anm. angeführten Stellen). Könnte nicht derselbe diese
Bildwerke aufgerichtet haben?
63) Deshalb sind auf der dreizehnten Tafel nur drei dieser Bruchstücke ge-
zeichnet worden.
64) Kunstblatt 1835. No. 76, 77.
65) Und eben so auf den übrigen Bruchstücken, mit Ausnahme von einem oder
zwei Fragmenten, wo die Federn in den Flügeln leicht angedeutet sind.
66) Aehnlich urtheilt mein gelehrter Freund Dr. Kramer im Bullett. d. In-
stitut. Archeol. 1835. p. 119: »Sui suolo del ridetto tempio si trovava
appoggiata una tavola di marmo con un rilievo di sorprendente lavoro e
d’assai buona conservazione. Essa e alta 3' 5" e larga 4y. II quäle ri-
lievo rappresenta due figure di donna vestite di tunica e di certa foggia
di mantelli svolazzanti con grandi ale alle spalle, le quali peraltro sono
piuttosto accennate ehe ben operate in quanto all’ arte. Ira mezzo di

loro si alza a gran salti e con impetuoso movimento un toro, il quäle
cerca d’impedire (?) una delle donne alate, mentreche l’altra sembra fuggire
con ambe le braccia alzate. Fa ricordarci questa rappresentazione, d’un
rilievo vaticano di simile argomento; ma lä si vedono ancora le traccie
d’un’ ara o candelabro e non sono alate le donne ehe s’impigliano col toro.
In questo s’intende ehe il lavoro del monumento greco e multo superiore
a quell’ altro romano, e s’avvicina in quanto al carattere generale al fregio
(?) del tempio d’Apolline a Bassae. Lo Stile tanto nelle parti nude quanto
ne’ panneggiamenti e pieno di sentimento, vita e spirito, di modo ehe e
probabile ehe siffatto monumento appartenga ai migliori tempi dell’
arte greca o almeno a quei non molto posteriori.« So weit Dr.
Kramer. Wir wissen nicht, ob dieses vatikanische Relief mit ungefliigelten
weiblichen Figuren dasselbe ist, welches Z o e g a, Bassir. ant. 60, als Siegs-
göttinnen bei einem Stieropfer erklärt hat (Müller Handbuch derArchäol.
S. 554. Anm. 2.), und müssen, da uns keine Abbildung davon zur Hand
ist, die weitere Vergleichung dieser beiden Monumente, und die Bestim-
mung ihres Verhältnisses zu einander, Anderen überlassen. [Abgebildet bei
Visconti, Mus. I’io. Clem. Vol. V. tav. 9. Vgl. Archäologisches Intelligenz-
blatt 1835 S. 71. Anm. E. G'.J

BERLIN, GEDRUCKT BEI C. FEISTER.
 
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