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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0087
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72jährigen mit dem Baseler Buchdrucker Johannes Amerbach (um
1440-1513), Bonifacius' Vater, zutrifft und sofern es sich bei dem aus-
führenden Künstler tatsächlich um den Meister des Lautenbacher Hoch-
altars gehandelt hat, so hätte Amerbach sich für seinen Bildnisauffrag
nicht etwa an einen lokalen, sondern an einen vermutlich in Straßburg
tätigen Künstler gewandt.'

Angesichts dieser Überlieferungssituation überrascht es nicht, daß
zumindest das 1513 datierte Bildnis des Bernhard Meyer zum Pfeil
zunächst Hans Holbein zugeschrieben worden war, bevor es aus stilisti-
schen und chronologischen Gründen dessen »CEuvre« ausgegliedert
wurde.8 Aus demselben Reservoir der traditionell »Holbein« zugeschrie-
benen Werke stammen auch die wenigen Gemälde, die darüber hinaus in
den letzten Jahrzehnten mit unterschiedlichem Erfolg zwei namentlich
bekannten, in Basel tätigen Malern - dem 1492 aus Straßburg nach Basel
übersiedelten Hans Herbst (1470-1552)9 und dem 1503 aus Zürich
gekommenen Hans Dyg (tätig zwischen 1503 und 1529)10 - zugewiesen
worden sind. Weshalb die Wahl unter den zahlreichen, in der Vorrefor-
mationszeit in der Stadt nachgewiesenen Künstlern ausgerechnet auf
diese beiden fiel, erklärt sich erneut aus der lokalen Tradition der Hol-
bein-Zuschreibungen. Dies wird an der ebenso wechselvollen wie ver-
worrenen Geschichte der Attribution der sogenannten »Leinwand-Pas-
sion« besonders anschaulich.

Die Baseler »Leinwand-Passion«

Die Öffentliche Kunstsammlung bewahrt fünf auf Leinwand gemalte
Passionsdarstellungen - Abendmahl, Gebet am Ölberg, Gefangennahme,
Christus vor Pilatus und Geißelung (Tafel 7-11).11 Während Abendmahl
und Geißelung schon im Amerbach-Inventar als Frühwerke Hans Hol-
beins d. J. aufgeführt sind, galten die drei übrigen Bilder bei ihrem Auf-
tauchen im Jahre 1836 als Arbeiten seines Vaters. Angesichts der stilisti-
schen wie qualitativen Unterschiede wurden die fünf Gemälde schon im
19. Jahrhundert als Produkte einer Werkstattgemeinschaft betrachtet -
einer Werkstattgemeinschaff, über deren Zusammensetzung allerdings
ebenso wenig Einigkeit bestand wie über die Identität ihres Leiters: Hans
Holbein d. Ä., Hans Holbein d. J. und Ambrosius Holbein standen gleich-
ermaßen zur Diskussion.

Zur gleichen Zeit wurde in den Baseler Archiven nach Nachrichten
über die Holbein-Familie gesucht.12 Zu den damals aufgefundenen
Dokumenten gehört auch der schon erwähnte früheste Nachweis für die
Anwesenheit des Ambrosius Holbein in Basel. Dieser nahm am 25. Juli
1516 an einem Essen in »meister Hanns Herbsten hus« teil, bei dem auch
Sebastian Lebzelter, ein Sohn des aus Ulm zugewanderten Bildschnitzers
Martin Lebzelter (in Basel tätig zwischen 1492 und 1520), anwesend war.
Im Verlauf des Essens kam es zu einem Streit, der schließlich vor Gericht
endete: Die Feiernden hatten einen »knaben« zum Weinholen geschickt,
der bei seiner Rückkehr über Schmähreden des später beklagten Andres
Huber berichtete:

»... warumb zert [ißt; JS] bastian Leptzelter nit mit mir, was wil er by den
onmechtigen swaben tun, sy werden jm noch den Lon geben, [da; JS]
sprach der züg [d.h. Ambrosius Holbein; JS] zu sinen gesellen: also ver-
achtet vns Andres.«13

Der im Gerichtsprotokoll gebrauchte Plural »onmechtige swaben«
wurde schon bald nach der Entdeckung dieser Quelle als Beleg für die
Anwesenheit nicht nur irgendeines anderen »Schwaben«, sondern des

49 Meister des Lautenbacher Hochaltars, Bildnis eines 72jährigen Mannes (Johannes Amer-
bach?), Basel, Kunstmuseum

jüngeren Hans Holbein gewertet; ja, aus der verbürgten Anwesenheit des
Ambrosius und der vermuteten seines Bruders Hans wurde darüber hin-
aus geschlossen, beide Künstler seien unmittelbar nach ihrer Ankunft in
Basel als Gesellen in der Werkstatt des Hans Herbst tätig geworden.14
So spekulativ diese Annahme mit Blick auf die faktische Überlieferung
auch ist, so hat sie doch in der Forschung allgemeine Anerkennung
gefunden.

Die Mitarbeit der Holbein-Brüder in der Herbst-Werkstatt wurde
damit seit dem späten 19. Jahrhundert auch eine beliebte Option in der
problematischen Frage der Zuschreibung der »Leinwand-Passion«. Doch
weiterhin blieb umstritten, wer für den Entwurf, wer für die Ausführung
einzelner Szenen verantwortlich zu machen sei - neben den Holbein-
Brüdern wurden nun Hans Herbst oder weitere, unbekannte Mitarbeiter
seiner Werkstatt genannt. Selbst als Francois Maurer die fünf Leinwand-
bilder mit einer ursprünglich 16 »Stücke« umfassenden Passionsfolge in
Zusammenhang bringen wollte, die der urkundlichen Überlieferung
zufolge Hans Dyg im Jahre 1516 für den Lettner der Baseler Peterskirche
ausgeführt hatte,15 blieb der Auftrag sozusagen »in der Familie«: Dyg war
Hans Herbsts Schwager, und so glaubte man an der Zuweisung der Gei-
ßelung, vielleicht auch des Abendmahls, an den jüngeren Hans bzw. an
Ambrosius Holbein festhalten zu können, die in diesem Fall quasi aus-
hilfsweise an dem Großprojekt des Schwagers ihres Meisters mitgear-
beitet haben sollten.

Holbein und die Baseler Malerei der Vorreformationszeit 83
 
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