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werden. Die Wirtschaftskraft blühender Großstädte, unter denen Augsburg und Nürnberg
auch wegen ihrer kulturellen Ausstrahlung eine Vorrangstellung einnahmen, machte die un-
terschiedliche Verankerung der Lebensinteressen dieser Städte zeitweise vergessen. [3] Viele
von ihnen waren abhängig von weltlichen oder geistlichen Fürsten, in deren Herrschafts-
bereich sie lagen. Auch innerhalb der Klasse der Feudalherren gingen Veränderungen vor
sich. Die Macht weniger Fürsten erhielt Zuwachs auf Kosten der kleinen, insbesondere auf
Kosten der geistlichen Herren. Ohne festgelegte Erbfolge und unter der Einwirkung des in
den Domkapiteln mächtigen Adels waren die geistlichen Herrschaften im Nachteil. Ihre An-
lehnung an große weltliche Herrschaftsgebiete, wie die der Wettiner und der Hohenzollern
im mitteldeutschen Bereich, war eine geschichtliche Notwendigkeit, die den in Gang gekom-
menen Prozeß der Anhäufung von Macht in den Händen einzelner weiter vorantrieb.

Nachdem die Wahl Karls V. zum deutschen Kaiser die komplizierten Entwicklungsprobleme
innerhalb des Landes mit den Interessen des spanischen Weltreiches unglücklich verbunden
hatte, sanken die Hoffnungen des Bürgertums und der mit ihm gegen den Feudaladel ver-
bündeten Schichten. Der Aufstand der Reichsritter und der große Krieg der Bauern waren
verzweifelte Versuche, selbst in dieser Lage noch einen Ausweg zu finden. Sie betrafen zwei
völlig verschiedene Klassen, eine zum Untergang verurteilte Adelsschicht und die von der
Verschärfung der Ausbeutung durch die Vermischung feudalistischer und kapitalistischer
Methoden am stärksten betroffene Mehrheit der Bevölkerung. Beide Versuche scheiterten
wohl deshalb, weil die stadtbürgerlichen Verbündeten, auf die sie rechneten, zum Sonderfrieden
mit der alten Ausbeuterklasse bereit waren.

Die Reformation Luthers in der Offenheit ihres Beginnes durfte in der Verbindung theolo-
gischer, sittlicher und damit auch sozialer Fragen eines großen Anhanges aus dem gesamten
revolutionären Lager gewiß sein. Die Breite ihrer Bestrebungen entsprach zunächst der Viel-
falt der aus unterschiedlichen Gründen zum Handeln bereiten Kräfte. Die Niederlage der
Revolution überlebte sie nur, indem sie sich von den Revolutionären rechtzeitig lossagte,
zuerst mit Entschiedenheit von den Bauern, dann von der Sekte der Wiedertäufer, in der
revolutionäres Gedankengut am längsten Bestand hatte. Auch mit der entschiedeneren pro-
testantischen Richtung Zwingiis und Calvins wurde keine Verbindung erreicht. In orthodoxer
Schärfe von wertvollen Verbündeten getrennt, in der Behauptung ihrer auf Reichstagen an-
erkannten Zulassung erstarrend, wurde die entstehende lutherische Kirche zu einer Stütze der
Fürstenmacht und andererseits allein die Furcht vor ihr zu einer Möglichkeit, die Landesherr-
schaft in den katholischen Bereichen zu festigen.

Den weltlichen Reichsfürsten gab die häufige Abwesenheit des neuen Kaisers in entschei-
denden Jahren Handlungsfreiheit. Die Niederlagen aller in Bewegung geratenen Klassen und
Schichten konnten zu ihrem Vorteil genutzt werden. Die Güter der Kirche und für die Macht-
entfaltung entscheidende Elemente bürgerlichen Gedankengutes und bürgerlicher Kultur
bildeten Ecksteine in dem Gebäude der entstehenden feudalabsolutistischen Landesherr-
schaften, die auf Jahrhunderte hinaus dominierten. In diesem Rahmen blieb bürgerliches
Handeln und bürgerliches Denken weitgehend erhalten. Die Gewißheit, im Namen einer
Menschheit zu handeln, die durch ihre Arbeit unentbehrlich war, aber aus dem politischen
Handeln hinausgetrieben worden war, schwand jedoch. Die Vorstellung einer einzigen großen
Menschengemeinschaft, an der die Entfaltung aller schöpferischen Kräfte des Einzelmenschen
in der Renaissance gewachsen war, zerbrach, und es bedurfte in Deutschland langwieriger
Entwicklungen, sie zu erneuern.

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