Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Für die Herausbildung der neuen Bilderwelt war Dürers Beitrag unvergleichlich wich-
tiger. Das lag nicht nur an der hohen Bedeutung seiner Bilder, sondern an ihrer Verbreitung
in handwerklich vollkommenen Drucken. Dürers Werk konnte allgegenwärtig sein, übertraf
im unmittelbaren Einfluß selbst die Arbeiten Leonardos, Michelangelos und Raffaels. [36]
Melanchthon, der mit Cranach in Wittenberg lebte, sah in Dürer die große Persönlichkeit,
deren künstlerische Gaben nur einen Teil ihres überragenden schöpferischen Wesens aus-
machten. [37] Von ihm stammt der erste Vergleich Dürers, Cranachs und Grünewalds. Nach
den Regeln antiker Redekunst erblickte er in Cranach den Mann des schlichten Stils, in Dürer
und Grünewald Verkörperungen des hohen und mittleren Stils. [38] In diesem Urteil könnte
durchaus Cranachs Begabung für das Einfache, im volkstümlichen Sinne Schlagkräftige ge-
faßt sein. Seine Geschöpfe sind oft geladen von kraftvoller Eigenart. Volksliedhaftes ist in die
Handlungen gemischt. Nach den Lobreden humanistischer Verehrer muß eine lebhafte Wir-
kung von seinen Gemälden ausgegangen sein.

Cranachs früheste bekannte Werke sind bereits durch die Begegnung mit Dürer geprägt.
Die großen Holzschnitte der Apokalypse und der Großen Passion, die Einzelblätter Simson
mit dem Löwen, Heilige Familie mit den Hasen, Hinrichtung der heiligen Katharina, heiliger
Sebaldus auf der Säule, der Kupferstich des heiligen Hieronymus in der Landschaft, alles Ar-
beiten der Zeit zwischen 1496 und 1499, haben Spuren in Holzschnitten und Gemälden Cra-
nachs hinterlassen. Merkwürdig ist, daß die Auseinandersetzung mit Dürer in Wien vollzogen
wurde, wo Cranach 1502 und 1503 arbeitete. Es scheint, als habe Cranach erst in der an-
regenden Atmosphäre Wiens Dürers Bilder aufnehmen und auf seine Weise bewältigen
können.

Wien war durch Förderung Kaiser Maximilians I. die beliebteste deutsche Universitätsstadt
am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, nach Celtis: <die größte und schönste Stadt, die ich
zu recht das Auge Deutschlands nennen darf). [39] Konrad Celtis, vom Kaiser auf Fürsprache
Friedrichs von Sachsen 1487 zum Dichter gekrönt, wirkte seit 1497 an der Universität. Cra-
nach fand Zugang zum Kreis des Celtis, vielleicht auf Empfehlung des sächsischen Kurfürsten,
für den er noch 1501 in Coburg gearbeitet hatte. Er malte Johannes Cuspinian, den Stell-
vertreter des Celtis im neugegründeten Humanistenkollegium, lieferte Holzschnitte für
Johannes Winterburger, den Wiener Drucker von Celtis und Cuspinian.

Der Maler, der früh Lobredner gehabt zu haben scheint, erfuhr hier die Wahrheit der Verse
des Celtis: <Gleich wie der Dünger den Feldern die Kraft gibt zu reichem Erträgnis, daß uns
der Acker die Müh lohnt mit vielfacher Frucht, also belohnt und erhebt ein Lob auch edle
Gemüter, oft gibt ein rühmendes Wort Kraft zu dem künftigen Werk. > [40] Cranachs Bega-
bung leuchtete so hell auf, daß Scheurl in Wittenberg noch sieben Jahre später vom Ruhm
einer in Österreich ausgeführten Arbeit zu berichten wußte. [41]

Der Kreis der für die Wiener Zeit gesicherten Werke ist klein: der Holzschnittschmuck des
Passauer Missales von 1503, jedoch bereits 1502 begonnen, das Doppelbildnis Cuspinians und
seiner Frau, undatiert, wahrscheinlich um die Jahreswende 1502/03 entstanden. Das Jahr 1502
ist durch die Nachricht von einer Erkrankung Cranachs in Wien [42] für den Aufenthalt dort
gut gesichert. Zwei weitere Werke mit der Jahreszahl 1502, der Holzschnitt einer Kreuzigung
und das Gemälde des büßenden Hieronymus, sind daher wohl auch in Wien entstanden. Alle
bezeichnen Höhepunkte in Cranachs Schaffen. Andere führen zu ihnen hin, das Gemälde der
Kreuzigung aus dem Wiener Schottenstift und der seltene Holzschnitt gleichen Themas, mit
dem Cranach wohl zum ersten Male das große Bildformat Dürers zu bewältigen suchte.

15
 
Annotationen