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wand: so sind gewaltige Aussagen miteinander verbunden. Das Ende des Lendentuches steht
wie eine brausende Wolke am Himmel. Volksliedhafte Elemente sind mit der überraschenden
Größe und Standfestigkeit beider Hauptfiguren zusammengefügt. Der hochragende Johannes
dürfte von oberitalienischen Gestalten abgeleitet sein, welche Vermittlung dabei auch immer
zu erwägen wäre. [83] Das Münchener Gemälde erscheint als gewaltiges irdisches Gegenstück
zu dem von Dürer gemalten Täfelchen des abscheidenden Christus. [84] Wie dort alles ins Un-
endliche gewandt ist, so hier alles in den Bereich bitterer wirklicher Erfahrung. Welch ein
Weg ist hier in einer Zeit von höchstens zwei Jahren seit der Kreuzigung aus dem Wiener
Schottenstift zurückgelegt! Bei der lebhaftesten Förderung im Humanistenkreise war dies
nur in der Auseinandersetzung mit Dürer möglich. Nach anfänglichem Widerstreben ist Cra-
nach um das Jahr 1503 zu einer selbständigen und starken Durchdringung der aufgenom-
menen Eindrücke Dürerscher Bilder gelangt.

Vorangegangen sind der großen Klage unter dem Kreuz zwei Tafeln in der Wiener Aka-
Tafeln 9, 10, n demie, ein heiliger Valentin mit kniendem Stifter [85] und ein heiliger Franziskus. [86] Es sind
unerlöste Gestalten, die schwerfällig die Räume ausfüllen, vielleicht die ersten größeren
Figuren Cranachs. Die Bilder scheinen in starker Gegensätzlichkeit aufeinander bezogen: der
still aufragende Heilige in reichem rotem Bischofsornat und der graue Mönch, dessen starke
Bewegung mit dem kühn über die Fläche gebogenen Baum zusammengespannt ist. Die Ge-
Tafel 10 stalt des Franziskus läßt ein oberitalienisches Vorbild erkennen [87], ein Hinweis auf venezia-
nische Eindrücke, die allerdings auch durch andere deutsche Bilder vermittelt sein können.

Die Cranachgemälde der Jahre 1502/03 wirken farbig einheitlich. Starke Farben in ein-
fachen Gegensätzen bestimmen die Wirkung. Die rote Farbe dominiert, entweder in der Ver-
bindung mit Schwarz, Gold, einem dunklen Blau oder einem gelblich gebrochenen Weiß. Der
Landschaftshintergrund, der bei keinem der Bilder fehlt, zeigt den kräftigen Zweiklang von
Grün und Blau. Seltene Farben wie Gelb und Violett, bei St. Valentin, bleiben auf untergeord-
nete Stellen beschränkt. Die Farbenwahl ist einfacher, zwingender und leidenschaftlicher als
bei den gleichzeitig entstandenen Gemälden anderer deutscher Meister. [88] Auch von dieser
Seite her zeigen die Bilder eine große Geschlossenheit des Gefühls.

In der gleichen Farbstimmung erscheint noch die Heilige Familie des Jahres 1504 in Berlin-
Tafel n Dahlem [89], eines der reichsten und schönsten Bilder Cranachs. Alle Gedanken der Form
sind glücklich und leicht: Maria wie in einer breiten, vom roten Gewand gebildeten Muschel,
die Reihe der Engelsköpfe schräg durch das Bild zum Christuskind hin ansteigend, Joseph an
den Fichtenbaum gelehnt, dem ausbündigen Treiben Halt gebend. Angeregt ist der Bild-
gedanke durch Dürers Holzschnitt der Heiligen Familie mit den Hasen, der aus der Zeit um
1496/97 stammt. [90] Man spürt das in Nebendingen, in der Art, wie Joseph Stock und Hut
hält etwa oder wie das Kind auf dem Knie der Mutter steht; direkte Entlehnungen sind nach
Möglichkeit vermieden. [91] Dargestellt ist nicht das beliebte Thema der Madonna auf der
Rasenbank: es fehlen die Geborgenheit der Umzäunung, die Nähe der Behausung, Schmuck,
Buch und Haustier, die Attribute ruhigen Besitzes. Ein Waldquell ersetzt den ausgehauenen
Brunnen. Eine Schar von Engeln, die älteren in kostbaren Gewändern, schafft Speise und
Tafel zo Trank, Musik und Spiel herbei und macht den Mangel der Familie vergessen. Die starke Ver-
dunklung des Himmels in der Höhe, der schlummernde Engel an der Quelle sind am besten
mit der Vorstellung des morgendlichen Aufbruchs auf der Flucht nach Ägypten zu verbinden
[92], wenn auch das Attribut des Reittieres fehlt. Ein Zeichen der Bedrohung ist wohl die
Distel, die von außerhalb in das Bild hineinragt. Eine Reihe von volkstümlichen Heilpflanzen,

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