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Züge des Künstlers im Alter von etwa vierzig, dreiundvierzig, zweiundfünfzig, neunund-
fünfzig und siebenundsiebzig Jahren überliefert. Die Bildnistreue ist unterschiedlich zu be-
werten. Die Darstellungen im größeren Maßstab sind den Assistenzfiguren hierin natürlicher-
weise überlegen, das Florentiner Gemälde von 1550 durch die Wiedergabe der Hände noch
besonders. Die Zeichnung Dürers und auch das Gemälde des jüngeren Cranach heben die
tätige Seite des Künstlers hervor, seine Energie, die Geradlinigkeit des Wesens. Die Selbst-
bildnisse zeigen dagegen einen stillen Cranach, weich gestimmt, von düsterer Ahnung um-
geben: betonen die melancholischen Züge, die nach humanistischer Auffassung Bestandteil
der Künstlerpersönlichkeit sind.

Es überrascht, diesen Spuren dunklen Selbstgefühls nunmehr in leibhaftiger Größe zu
begegnen. Ein bisher unbeachtetes Gemälde im Wohnzimmer Friedrich Wilhelms IV. von
Preußen auf Schloß Stolzenfels bei Koblenz überliefert sie. [422] Das Bild zeigt vor schwarzem Frontispiz
Grund ein großes breites, sehr kräftiges Gesicht mit braunen Augen, braunem Haar und
grauem Bart. Das Gewand ist bräunlich, doch scheint dies das Ergebnis einer Übermalung.
Es ist möglich, daß das Bild nicht in allen Teilen vollendet war. Die lockere Angabe des
Haupthaares, das glatt begrenzt ist, die flüchtige Andeutung der Lippen und des Ohrläppchens
könnten dafür sprechen. Von Übermalungen so gut wie unberührt ist das Gesicht. Trotz aller
Zweifel, die gegenüber dem jetzigen Erscheinungsbild zu hegen sind, ist die ursprüngliche
Anlage völlig deutlich: ein großes Brustbild ohne Hände mit eigenwilliger Wendung des
Gesichts. Bei der Größe des Bildes wirkt die schräge Haltung des angehobenen Kopfes be-
deutend. Der Blick, der aus den Augenwinkeln auf den Betrachter gerichtet ist, die Falte zwi-
schen den Augenbrauen verstärken den Ausdruck. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die
gewaltige Bewegung jetzt ohne deutliche Verbindung mit dem Oberkörper abrupt im Bilde
steht. Der ahnungsvoll erhobene Kopf des Cuspinian ist unter den vielen Einzelbildnissen Tafel 12
Cranachs noch das vergleichbarste. Das Selbstbildnis auf der Gothaer Tafel zeigt zwar die- Tafel 150
selbe Kopfhaltung, übrigens im Barett, doch ist sie dort verbunden mit der weisenden Geste
der Hand und in die Bilderzählung einbezogen. In formelhafter Wiederholung findet sie sich
noch 1545 bei der Darstellung Cranachs als Assistenzfigur auf dem Opfer des Elias in der
Dresdener Gemäldegalerie. [423]

Die Jahreszahl 1531 auf der Gothaer Tafel dürfte auch etwa die Entstehungszeit des Bild-
nisses in Stolzenfels angeben. Das Barthaar ist auf beiden Darstellungen ergraut, später er-
scheint es weiß. Cranach trägt noch die Haare wie auf Dürers Zeichnung von 1524, wie auch
Dürer sie damals trug; spätestens seit 1542 ist die Haartracht kurz. Dargestellt ist der etwa
sechzigjährige Cranach, der noch 1534 behaupten konnte, daß er das letzte Mal vor 32 Jahren
krank gelegen habe. [424] Die Schatten, die über dem Bildnis zu liegen scheinen, lassen sich
nicht aus den engeren Lebensverhältnissen ableiten. Der Hofmaler stand auf der Höhe seines
Ansehens, war seit 1519 Wittenberger Ratsherr und ist für das Jahr 1528 als einer der reichsten
Bürger der Stadt ausgewiesen.

Im Jahre 1528 starben Dürer, Grünewald, auch wohl der Vater Cranachs. Eine große Zeit
schien abgelaufen. Dies war wohl nicht nur der subjektive Eindruck des besonders mit Dürer
verbundenen Künstlers. Auch Melanchthons vergleichende Würdigung der Eigenart Dürers,
Grünewalds und Cranachs vom Jahre 15 31 läßt sich wie ein Epitaph auffassen, auf dem der
lebende Cranach seltsam von zwei gestorbenen Heroen gerahmt erscheint. [425] Dunkle
Zeiten standen in Aussicht, wie Martin Luther in einem Wort zum Tode Dürers andeutete.
[426] In den Jahren nach der Niederwerfung des Großen Bauernkrieges verstärkten sich die

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