Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
brüchen eigener Erfahrung gespeist war, bis etwa zu dem großen Schwärm von Arbeiten des
Jahres 1509, ist das Absurde nur eine Möglichkeit unter vielen. Später wurde es geradezu eine
Wirklichkeit für sich, ein Zwang, dem der Künstler nicht entrinnen konnte. Diese Entwick-
lung hat nicht die erstaunliche Gegenstandsbezogenheit Cranachs beeinträchtigt. Es ist immer
wieder erstaunlich, wie ungebrochen bis in die späte Zeit das Verhältnis zur Wirklichkeit
erhalten geblieben ist, besonders bei den Bildnissen. Allerdings erschöpft sich die Teilnahme
meist an der Physiognomie des Gegenübers. Es ist eine der häufigen Ungereimtheiten, daß
Körperbau und Hand bei Bildnissen fast immer im Bereich willkürlicher Zusammenstellung
bleiben.

Bei den späten Bildern hat man den Eindruck: es sind die gemalten Wünsche der Besteller.
Dinge, die wohl außerhalb des echten Erfahrungsbereiches Cranachs lagen, kommen zur
Illustration. Die herrschende Moral und eine scheinbare Renaissancehaltung erzeugen merk-

Die heiligen Barbara
und Katharina.
1519. Holzschnitte.
Leipzig

würdig gewundene Akte, eine spukhafte Erotik, die voller Wirksamkeiten, aber ohne Wirk-
lichkeit sind. Indem Cranach, dem antiken Brauch folgend, seine nackten Göttinnen und
Heldinnen aus schönen Einzelheiten verschiedener Individuen zusammenstellte [612], ver-
wirklichte er das Ideal seiner Zeit in größter Reinheit: ohne Rücksicht auf die konstruktiven
Gegebenheiten des Körperbaues, von denen Dürer Rechenschaft zu gewinnen suchte.

Die Formalisierung von Cranachs Kunst seit dem dritten Jahrzehnt des sechzehnten Jahr-
hunderts war wohl ein Versuch, die mögliche Harmonie zwischen den verschiedenen Anfor-
derungen herzustellen. Für den Werkstattgebrauch mag sie eine Vereinfachung bedeutet

83
 
Annotationen