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Dieses Bildnis einer blonden Dame gehört wohl zu den wenigen überragenden Werken aus
der Spätzeit Cranachs. Die Kleidung mit dem reichen Schmuck ist trotz äußerster Präzision
der großen geschlossenen Haltung untergeordnet. Schwarz, helles Rot und das Hellblau des
Grundes sind klug ineinander verschränkt und durch das Gold des Schmuckwerkes verbun-
den, es entsteht eine formale Geschlossenheit, die stark von dem sperrigen Gegeneinander
früherer Bildnisse absticht. [795]

Das Bildnis einer verstorbenen Person, die doch nur am äußeren Gesichtskreis des Künst-
lers existiert hatte, auf Abruf herzustellen setzte gewiß besondere organisatorische Umsicht
voraus. Nicht nur die Bildnisvorlage, auch Notizen über die Kleidung und die Art des indivi-
duellen Schmuckes mußten zuverlässig bereitliegen. Nicht von Cranach, aber von einem
Maler seines Umkreises ist ein Konvolut solcher Notizen in Dessau zu finden: flüchtige Steno-
gramme, die, im Gegensatz zu Studien der Dürerzeit, keine andere Aufgabe hatten, als eine
Gedächtnisstütze bei der Ausführung von Bildnissen abzugeben. [796]

Gegenüber dem vornehmen Münchener Damenbildnis wirkt das Bildnis einer Landedel-
Tafel 264 frau, der Lucretia von Berlepsch, von 1580 [797], gedämpfter, obgleich es fast in Dreiviertel-
figur ausgeführt ist. Der dunkle Farbklang des Gewandes der älteren Frau ist ebenfalls durch
Goldschmuck gehoben, doch wirken in ihm die deutlich sichtbare Fürstenmedaille, das Adels-
wappen neben dem Kopf mehr im Sinne einer sozialen Einordnung. Die strahlende Unab-
hängigkeit des Münchener Bildnisses fehlt.

Die Haltung der späten Bildnisse ist von großer Geschlossenheit, auch wenn man die Por-
Tafeln 263, 265 träts des Erich Volckmar von Berlepsch von 1580 [797] oder des Hans von Lindau von 1581
[798] mit früheren Lösungen vergleicht. Die konventionellen Züge der Männerbildnisse
sind: ein gewaltiger hochgeschlagener Pelzkragen, die helle reichgestaltete Halskrause, die
fünffache Goldkette mit dem Bildnis des Lehnsherrn, der Griff der Linken nach dem abge-
nommenen Barett, dem auf der anderen Seite das Halten der Handschuhe neben dem Dolch-
griff entspricht. Es bedeutet viel, wenn in diesen gleichförmigen Ablauf das Motiv der keck
in die Hüfte gestützten Hand, wie beim Bildnis von Lindau, aufgenommen wird. Die Zu-
sammenhanglosigkeit, mit der es geschieht, ist allerdings bezeichnend: die Hand wirkt ge-
radezu, als ob sie von außerhalb des Rahmens in das Bild eindringt.

Die Bildniskunst des jüngeren Cranach ist damit bis in die spätesten Jahre über allen Zwei-
fel gut dokumentiert. Sie hat künstlerisch wahrscheinlich das Rückgrat seines Schaffens
bedeutet, selbst wenn zuzeiten kritische Einwände gegen sie vorgebracht worden sind, wie
1550 von der Witwe des Nürnberger Theologen Veit Dietrich wegen eines nach der Toten-
maske gemalten Bildnisses ihres verstorbenen Mannes und 1579 von Markgraf Georg Fried-
rich wegen der Bildnisse der Markgräfin Sophie. Als Entschuldigung für sölche Mißerfolge,
vor denen nicht einmal Dürer sicher gewesen ist [799], möchte man dann die angedeutete,
höchst komplizierte Auftragslage und das damals übliche Replikenwesen anführen. Wieder-
holungen sind sicherlich zum großen Teil mit Hilfe der Werkstatt ausgeführt worden, und
deren Zusammensetzung war, wie an den Altarwerken zu sehen ist, höchst unterschiedlich.

Von freien Figurenbildern Cranachs ist außer dem Bild des Tugendberges aus dem Jahre
1548 in Wien nichts erhalten. Es muß aber einmal eine Folge der Vier Temperamente und
ihrer wichtigsten Vermischungen gegeben haben, die 1565, vielleicht angeregt durch Ra-
dierungen des Virgil Solis [800], über Dr. Caspar Peucer bei Cranach in Auftrag gegeben
worden sind. Dies ist die späteste Erwähnung eines humanistischen Vorwurfs in Verbindung
mit dem Cranachwerk.

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