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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0145
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Griechische und römische Baukunst

119b

Walmdach. (S. 122, 1) in Gebrauch gehalten hat, galt
nach Pindar (01. XIII 21) als eine Ruhmestat der
Korinther und Korinth ist in jener frühen Zeit die
Hauptstätte der Tonindullrie in Griechenland ge-
wesen. Ein dem korinthischen Kunstkreise ange-
höriger Tempel von Thermos in Aetolien, der in
seiner Bauweise dem Heraion von Olympia noch
nahesleht, zeigt in seinen erhaltenen Reiten, in wie
weitem Umfang Terrakottaverkleidung für den höl-
zernen Dachstuhl gebraucht worden ist; hier waren
auch die Metopen aus gebranntem Ton gebildet
(S. 121, 2. 3).
Mit dem folgenden Steinbau treten der dorische
und ionische Stil in ihrer charakteristischen Aus-
bildung in Erscheinung. In beiden sind mit der
Gliederung auch die Formen aus der alten Bau-
weise übernommen. Selbst für die frühere Fach-
werkkonstruktion notwendige, für den Steinbau aber
entbehrliche Bestandteile sind gleichwohl fortgeführt
worden, so an der Wand die Orthostatenreihe und
der vordere als Ante gebildete Abschluß; in der
Orthostatenreihe ist die untere Quaderschicht, die
von der Lehmmauer die Erdnähe abhalten sollte,
in der Ante die der Lehmwand als Schutj und Stütze
vorgelegte Holzbalkenschicht bewahrt (vgl. III S. 79,
1. 2 mit S. 122, 2). Auch die Terrakottaverkleidung
der Gebälke ist zunächst beibehalten und nun zum
reinen Schmuck geworden (S. 122, 7. 8).
Ihre unterscheidenden Merkmale haben die d o-
rische und die ionische Ordnung in der Gliederung
des Gebälkes und in der Bildung der Säule. Wie
die Gebälkgliederung beider Ordnungen auf die
Holzkonstruktion zurückgeht, ist durch die Durms
Handbuch entlehnten Abbildungen S. 120 veran-
schaulicht. Aus der mykenischen Architektur sind
die Vorstufen hierfür nicht erhalten, dagegen sind
sie für die Säule vorhanden. Die mykenische Holz-
fäule (III S. 80) hat einen aus Einem Stüde be-
liebenden Holzschaft, der mit dem dicken Ende nach
oben gestellt ist, damit ein hinreichend breites Auf-
lager für das in der Form einer oder mehrerer
großer Wülste gebildete Kapitell gewonnen wird.
Für die Steinsäule, da sie nicht aus Einem Stück,
sondern aus übereinandergesetjten Trommeln ge-
bildet ist, ergab lieh der Standfestigkeit wegen die
Verjüngung nach oben als das Zweckmäßige. Für
das Kapitell ist an der Wulstform festgestalten. Die
dorische Säule (S. 121 ff.) zeigt diese in allmählicher,
an Übergangsformen (S. 125, 4) erkennbarer Ver-
einfachung zu der Bildung umgestaltet, in der nur
das zum Tragen nötige, der breit ausgebauchte

Wulst (Echinus) mit der Tragplatte (Abakus) dar-
über geblieben, dieser aber möglichst kraftvoll ge-
bildet ist. Auch das ionische Kapitell hat den Wulst
des mykenischen in dem unter den Voluten liegen-
den Gliede bewahrt (S. 126). Die im ionischen
Kunstkreise seit dem 7. Jahrhundert zu starker Wir-
kung gekommenen orientalischen und ägyptischen
Einflüße, von denen die Architektur in dem diesen
Einflülsen nicht unmittelbar ausgesetjten dorischen
Gebiete frei geblieben ist, haben hier aber zu reicherer
dekorativer Ausgestaltung geführt, die nach ver-
schiedenartigen Versuchen mit der Aufnahme mannig-
facher fremder, hauptsächlich pflanzlicher Motive
(S. 126) in der Komposition des Wülstes mit dar-
übergelegtem Volutengliede ihren Abschluß gefunden
hat. Wie im Kapitell zeigt die ionische Säule in den
übrigen Teilen, in der leichteren und schlankeren
Bildung des nur wenig verjüngt ansteigenden Schaf-
tes mit den tief eingefurchten, von schmalen Stegen
getrennten Kanneluren und in der zweigliedrig ge-
bildeten Basis, eine mehr dekorative Ausführung
zum Unterschied von der dorischen, deren Form
durchaus struktiv bedingt ist, daher auch die für
die Steinstütje unnötige Basis fehlt.
Das von den Säulen getragene Gebälk (S. 120)
besteht aus dem im dorischen Stile glatten, im ioni-
schen fasziierten, mit drei schwach abgesetjten Streifen
gebildeten Archistrav oder Epistyl und den darüber-
liegenden Balkenreihen, die am dorischen Bau,
schwer und mächtig gehalten, zu der Metopen- und
Triglyphenordnung, am ionischen zu der leichteren
Zahnschnittgliederung ausgebildet sind. Ihnen liegt
das vorkragende Kranzgesims (Geison) auf, über
dem die aufgebogene Rinnleiste (Sima), an den
größeren Gebäuden meist auf die Stirnseiten be-
schränkt, den oberen Abschluß bildet (S. 122, 3. 5).
Mit der reicheren dekorativen Ausstattung hat
die ionische Bauweise vor der dorischen auch die
frühere Verwendung des hastbareren, im ionischen
Gebiet gewonnenen Materials des Marmors vor-
aus. Wie das zu Kroesos’ Zeit erbaute Artemi-
sion von Ephesos (S. 127,3; 126,9—12) zeigt, ist
man im Osten schon früh auch für Tempel größter
Dimensionen zum reinen Marmorbau übergegangen.
Die dorische Architektur im eigentlichen Griechen-
land dagegen hat durch das 6. Jahrhundert noch
für alle struktiven Bauteile am einheimischen Kalk-
stein (Poros) festgehalten und erst nach und nach
den Marmor für die Teile in Gebrauch genommen,
die auch am Kalksteinbau aus anderem Materiale,
nämlich aus gebranntem Ton gebildet waren (S. 124).
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