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Schäfer, Heinrich; Frank, Carl; Winter, Franz
Kunstgeschichte in Bildern: neue Bearbeitung; systematische Darstellung der Entwicklung der bildenden Kunst vom klassischen Altertum bis zur neueren Zeit (1): Altertum — 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.49707#0147
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Griechische und römische Baukunst

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Reiflichen. Gliede umgewandelt erscheint. Diese
ionisch-attische Form, deren fortsehreitende Ausbil-
dung wir von den Säulen der Athena Nike zu denen
der Propylaeen und des Erechtheion deutlich ver-
folgen können (S. 135), hat durch ihre Übertragung
auf die damals als Neuschöpfung hervortretende
korinthische Säule dauernd Geltung gewonnen, nach-
dem sie von dem um 200 v. Chr. tätigen Architek-
ten Hermogenes auch in den kleinaliatisch-ionischen
Stil aufgenommen worden war (S. 142, 8). Bis da-
hin aber hatte lieh der ionische Stil in seiner klein-
aliatischen Heimat rein erhalten. Wir lernen ihn
auf seiner jüngeren Stufe aus den berühmten, um
und nach der Mitte des 4. Jahrhunderts entstan-
denen Werken des Architekten Pythios, dem im
Altertum unter die heben Weltwunder gezählten
Mausoleum von Halikarnalsos und dem Athena-
tempel von Priene (S. 140), und aus den Neubauten
der großen alten Heiligtümer von Ephesos und Di-
dyma (S. 141) kennen, die seine mit dem Hauptwerk
des Hermogenes, dem Artemistempel von Magneßa
(S.142, 5 — 8) abschließende letjte Entwicklung ein-
leiten. In dieser hat lieh die Umbildung des ionischen
Kapitells vollzogen, aus der mit Abschwächung des
Kanals, tieferer Senkung der Schnecken über das
Blätterkyma und Unterdrückung der Umsäumung
des Kanals und der Schnecken die Form hervor-
gegangen ist, in der der Kanal seine frühere ela-
stische Schwingung (S. 126, 9,- 135) immer mehr
verloren hat und zu einer gradlinigen indifferenten
Verbindung der Voluten geworden ist (S. 142, 7).
Diese Form ist in die kaiserzeitliche Architektur
übergegangen (S. 168, 2), der für den ionischen Stil
Hermogenes als kanonisches Vorbild gegolten hat.
Gleichzeitig mit der Verbindung der dorischen
und ionischen Ordnung tritt in der Architektur
des Mutterlandes die korinthische, von der
attisch-ionischen nur durch das Kapitell verschie-
den, in Erscheinung. Das Kapitell, in Korb- (Kala-
thos-) oder Kelchform gebildet, wie sie schon der
ägyptischen Kunst geläußg war (vgl. I S. 13), zeigt
in der ersten Ausgestaltung, in der es uns aus einer
von Iktinos, dem Baumeister des Parthenon, der
Cella des Tempels von Phigalia-Bassae eingefügten,
jetjt verschollenen Säule und ganz entsprechend aus
einem Fragment von Delphi (S. 139, 1. 2) vorliegt,
das archaische Motiv aussteigender Voluten (S. 126,1)
oder Helikes in ähnlicher Verwendung, wie wir es
an altionischen Pfeilerkapitellen Enden (S. 127, 5),
und mit dem seit der Mitte des 5. Jahrhunderts in
der Dekoration beliebt werdenden Akanthosorna-

ment verbunden. Dessen zunehmend reichere Aus-
bildung bellimmt die weitere Entwicklung, aus der
zwei Typen hervorgehen. In dem einen (S. 139, 6)
bleiben die Voluten und der Akanthos als selb-
ständige Teile getrennt. Die Voluten behalten ihre
bandartige Bildung und ihre gradlinige Steilstellung,
in der he nebeneinander senkrecht vom unteren
Kalathosrande aufsteigen, die äußeren als Umrah-
mung, die inneren als Füllung der vier Stirnflächen.
In dem anderen Typus (S. 138,8; 148,3) ßnd die Vo-
luten mit dem Akanthos verwachsene Gebilde ge-
worden, die aus einem gemeinsamen, von der Mitte
des unteren Randes jeder Stirnfläche emporflreben-
den, in schwungvoller Biegung oben kelchartig sich
öffnenden Akanthosflengel herauswachsen.
Der erstere in engerem Anschluß an das Phigalia-
kapitell ausgebildete Typus ist der im Welten herr-
schende. Er ist aus dem 4. Jahrhundert in den Ka-
pitellen der epidaurischen Tholos des jüngeren Poly-
klet (S. 139), auf jüngerer Stufe in der italisch-
hellenistischen Kunst (S. 149, 7. 8) vertreten und ver-
schwindet mit deren Untergang im 1. Jahrh. v. Chr.
Die Entwicklung des letzteren Typus führt von
Athen, wo er im 4. Jahrhundert aufkommt (S. 138, 8)
über die osthellenistische Kunst Syriens, die ihn
mannigfach variiert zeigt (S. 148, 4 — 8), zu der in
den Kapitellen des athenischen Olympieion, einer
Stiftung des Königs Antiochos Epiphanes von Syrien,
vorliegenden Bildung (S. 148, 3) hin, die als ka-
nonische in die römische Kunst der Kaiserzeit über-
gegangen ist (S. 170,3. 4).
II.
Seit der hellenistischen Zeit tritt der Tempel-
bau hinter den Profanbau zurück. Auf dessen Ge-
biete liegen von nun an die schöpferischen Leistungen.
Hervorgerufen wurde die Entwicklung durch die Auf-
gaben, die die zahlreichen Städtegründungen in den
aus Alexanders Eroberungen erstandenen Reichen,
wie die nicht weniger zahlreichen Neuanlagen und
Erweiterungen älterer Städte stellten (Beispiele:
Pergamon S. 144; Priene, Milet und im italisdien
Wellen Pompeji S. 150). Die, soweit es die Terrain-
gestaltung zuließ, strenge Durchführung des gradlini-
gen Straßennefjes nach dem schon im 5. Jahrhundert
v. Chr. durch Hippodamos von Milet nach altorien-
talischem Vorbild in Aufnahme gebrachten System
(S. 150), und die Regelmäßigkeit der Anlage mit
den die Straßenfluchten unterbrechenden, von Säulen-
hallen umrahmten freien Plätjen der Märkte und
der Tempelbezirke (S. 156, 157, 159) geben den
neuen Städtebildern den Charakter. In den aus
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