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Scheffer-Boichorst, Paul [Editor]
Annales Patherbrunnenses: eine verlorene Quellenschrift des zwölften Jahrhunderts ; aus Bruchstücken wiederhergestellt — Innsbruck, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.22433#0077
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B. Amiales Patherbrunnenses.

I. Einleitung.

Ich weiss nicht: waren unsere Westfalen, dieses Volk von so durchaus
realistischer Anlage, allein den praktischen Bedürfnissen des Lehens zuge-
wandt? zeigte sich die kräftige Hand von vorneherein nicht geeignet, die zarte
Feder zu führen? war seihst der Geistliche ohne Sinn für Kunst und Wissen-
schaft? war er schon zufrieden, wenn er nur nicht in seinem nächsten Be-
rufe gestört wurde ? oder liess ihn die stets rege Kauflust der Grossen, das
Geräusch sich immer erneuernder Fehden auch am Schreibpulte nicht zur
Kuhe kommen ? Wohl das Eine und das Andere; — Vieles hat zusammenge-
wirkt , dass Wissenschaft und Kunst in Westfalen erst spät zu einer ge-
wissen Blüthe gelangten, mit Stetigkeit gepflegt und weiter entwickelt
wurden.

Noch ein besonderer Umstand kam hinzu, das Gedeihen der Goschicht-
schreibung zu verhindern. Nicht als ob es an historischem Sinn gefehlt;
wo man mit solcher Liebe das Kecht pflegte, wo man geltende Gewohnheiten
so früh zu Papier brachte, war auch historischer Sinn vorhanden. Der
Mangel lag daran, dass Westfalen in seiner Entfernung vom Mittelpunkte
des Keiches, »dessen Hauptkraft zwischen Mainz und Basel ruhte, * 1 nur
den gedämpften Wicderhall der weltbewegenden Ereignisse vernahm. Es
erging ihm wie Sachsen überhaupt: jene Männer, die in die Geschicke des
Reiches eingriffen, sah man selten oder nie;2 was die Gestaltung des Kei-
ches bestimmte, vollzog sich auf anderem Boden. Mit Einem Worte: es
fehlt das Selbstsehen, das Selbsterleben, die Vorbedingung aller zeitgenös-
sischen Goschichtschreibung.

Nur zweimal während des Mittelalters war es anders. Der Glanz der
sächsischen Herrschaft leuchtete auch über Westfalen: Widukind von Korvey
schrieb seine Geschichten. Lange regte sich keine Feder. Da erfüllten die
Kämpfe Heinrichs IV. das sächsischo Land. Mehr noch wurde Westfalen
von den Kriegen seines Sohnes berührt. Unmittelbar darauf kam ein Sachse

1) Otto Mb. Vita Frid. 1,12.

2) Dass Heinrich II. im Jahre 101C zu Paderborn, überhaupt wohl in West-
falen, das Ostorfost beging-, findet Thiotmar chron. 0,55: eatenus rcsilms insolituni.
 
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