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eignisse erzählt, nicht deren Zusammenhang; was zur Handlung treibt,
muss mehr errathen werden, als es hier ausgesprochen wird; fast nirgends
fühlt man den Pulsschlag des Handelnden. Und selbst die Sprache steht
nicht auf der Höhe unserer mittelalterlichen Klassiker. Die Erbsünde der
damaligen Latinität, die gänzliche Unfähigkeit, das rückbezügliche Pro-
nomen richtig anzuwenden, wäre noch das Geringste: es finden sich Dinge,
worüber der strengere Domscholastikus den Kopf geschüttelt hätte. Aber
darum war die Richtung in Abdinghof ja auch von vorneherein nicht so
grammatisch-philologisch, wie am Domstifte. Es kömmt auf die Sache
an; und wenigstens zuweilen hat doch auch die Darstellung Frische und
Wärme. Ich wüsste nicht, wo die Ereignisse des Jahres 1111, trotz eini-
ger Ungelenkigkeiton, mit solchem Leben geschildert wären; und das Lob
Lothars, das wie ein Gebet ausklingt, wird selbst heute noch erwärmen.
Auch sieht man, dass dem Verfasser das Latein der besseren Zeiten
wenigstens nicht ganz fremd ist. Ein Vers aus Lucan feiert den unglück-
lichen, doch muthigen König; und Sallust scheint sein Vorbild zu sein.
Wie Catilina in confertissumos hostis incurrit,1 wie er dann inter hostium
cadavera repertus est,2 so hier der Bundesgenosse Lothars, jener Otto, für
den der Krieg unternommen ist: inter hostium cadavera confertissima ex-
animis repertus est. Nicht anders, wie Catilinas Helden, fallen unsere
Deutschen. Dort: nam fere quem quisque vivus pugnando locum ceperat,
eum amissa anima corpore togebat; — sed omnes tamem advorsis volneri-
hus conciderant. Hier: Nemo ibi averso vultu, set adverso corruit. Quem
quisque locum vivendo tenuit, eum moriendo non amisit.3 Und so finden
sich noch oft Anklänge, selbst Wendungen aus Sallust. Die Verschworenen
strömen nach Born, die Trabanten unseres streitbaren Grafen in das kleine
Rietberg; hier und dort: tamquam in sentinam confluxerant.4 Sallust
schildert Catilinas Ausdauer: supra quam cuiquam credibile est; 5 ebenso
sagt unser Mönch von den grossen Stürmen des Jahres 1122. Doch ge-
nug ; wenn sonst wohl bei mittelalterlichen Nachahmungen die Sache leiden
muss, hier scheint es nicht der Fall zu sein: die Sache ist nicht der nach-
zuahmenden Form angepasst, sondern die Form ist, wohl mit einer Aen-
derung, auf die Sache übertragen.
Alles in Einem: Wenn die Form nicht meisterhaft ist, hier und da
wird sie doch befriedigen. Um so mehr erfreut die Fülle des geschicht-
lichen Inhalts. Ueber eine Menge von Vorgängen erhalten wir nur hier
Kunde; sie bringt ein Zeitgenosse, der ohne Partoigeist und Leidenschaft
ist. Westfalen darf des Werkes zufrieden sein.
Bald nach dem Papstwechsel des Jahres 1144, womit unsere Annalen
endigen, mag der Verfasser gestorben sein. Aber es wäre auch möglich,
1) Cat. 60,7.
2) Cat. Gl,i.
■i) Cat. 61,2. 3.
4) Cat. 37,0.
5) Cat. 5,2.
eignisse erzählt, nicht deren Zusammenhang; was zur Handlung treibt,
muss mehr errathen werden, als es hier ausgesprochen wird; fast nirgends
fühlt man den Pulsschlag des Handelnden. Und selbst die Sprache steht
nicht auf der Höhe unserer mittelalterlichen Klassiker. Die Erbsünde der
damaligen Latinität, die gänzliche Unfähigkeit, das rückbezügliche Pro-
nomen richtig anzuwenden, wäre noch das Geringste: es finden sich Dinge,
worüber der strengere Domscholastikus den Kopf geschüttelt hätte. Aber
darum war die Richtung in Abdinghof ja auch von vorneherein nicht so
grammatisch-philologisch, wie am Domstifte. Es kömmt auf die Sache
an; und wenigstens zuweilen hat doch auch die Darstellung Frische und
Wärme. Ich wüsste nicht, wo die Ereignisse des Jahres 1111, trotz eini-
ger Ungelenkigkeiton, mit solchem Leben geschildert wären; und das Lob
Lothars, das wie ein Gebet ausklingt, wird selbst heute noch erwärmen.
Auch sieht man, dass dem Verfasser das Latein der besseren Zeiten
wenigstens nicht ganz fremd ist. Ein Vers aus Lucan feiert den unglück-
lichen, doch muthigen König; und Sallust scheint sein Vorbild zu sein.
Wie Catilina in confertissumos hostis incurrit,1 wie er dann inter hostium
cadavera repertus est,2 so hier der Bundesgenosse Lothars, jener Otto, für
den der Krieg unternommen ist: inter hostium cadavera confertissima ex-
animis repertus est. Nicht anders, wie Catilinas Helden, fallen unsere
Deutschen. Dort: nam fere quem quisque vivus pugnando locum ceperat,
eum amissa anima corpore togebat; — sed omnes tamem advorsis volneri-
hus conciderant. Hier: Nemo ibi averso vultu, set adverso corruit. Quem
quisque locum vivendo tenuit, eum moriendo non amisit.3 Und so finden
sich noch oft Anklänge, selbst Wendungen aus Sallust. Die Verschworenen
strömen nach Born, die Trabanten unseres streitbaren Grafen in das kleine
Rietberg; hier und dort: tamquam in sentinam confluxerant.4 Sallust
schildert Catilinas Ausdauer: supra quam cuiquam credibile est; 5 ebenso
sagt unser Mönch von den grossen Stürmen des Jahres 1122. Doch ge-
nug ; wenn sonst wohl bei mittelalterlichen Nachahmungen die Sache leiden
muss, hier scheint es nicht der Fall zu sein: die Sache ist nicht der nach-
zuahmenden Form angepasst, sondern die Form ist, wohl mit einer Aen-
derung, auf die Sache übertragen.
Alles in Einem: Wenn die Form nicht meisterhaft ist, hier und da
wird sie doch befriedigen. Um so mehr erfreut die Fülle des geschicht-
lichen Inhalts. Ueber eine Menge von Vorgängen erhalten wir nur hier
Kunde; sie bringt ein Zeitgenosse, der ohne Partoigeist und Leidenschaft
ist. Westfalen darf des Werkes zufrieden sein.
Bald nach dem Papstwechsel des Jahres 1144, womit unsere Annalen
endigen, mag der Verfasser gestorben sein. Aber es wäre auch möglich,
1) Cat. 60,7.
2) Cat. Gl,i.
■i) Cat. 61,2. 3.
4) Cat. 37,0.
5) Cat. 5,2.