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Schlosser, Julius von
Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance: ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens — Monographien des Kunstgewerbes, Band 11: Leipzig, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6757#0131
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122 v. Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance.

etwas ganz modernes, wie eine Vorahnung Goethes und des Entwicklungs-
gedankens darin.

Derart ist es kein Wunder, daß in den ältesten Sammlungen auf ita-
lischen Boden sich sofort rein künstlerische neben rein wissenschaftlichen,
historischen Interessen geltend machen; das Kuriose, die Raritätensucht findet in
ihnen höchstens ein bescheidenes Ecklein, ja man möchte meinen, daß der-
gleichen fast nur als atavistischer Rest vorhanden sei. Es ist typisch, daß die
berühmte Antikensammlung im Mediceergarten7!)) sofort den Künstlern für
ihre Studien zugänglich ist; ein Künstler ist denn auch ihr Konservator, jener
Bertolde dessen Schüler Michel Angelo dort die stärksten Anregungen em-
pfangen hat. Die Ateliers werden zu kleinen Museen, nicht nur der Floren-
tiner Ghiberti hat eine Reihe ausgezeichneter Antiken besessen, darunter das
lange Zeit berühmte, mysteriöse „letto di Policleto", das nach wunderlichen
Irrfahrten zuletzt mit der Sammlung Rudolfs II. verschollen zu sein sdieint,
sondern ebenso in Oberitalien Squarcione, Mantegna, die Lombardi.

Solches unmittelbare und lebhafte Interesse an dem Erbe einer hoch-
geehrten Vergangenheit verbindet sich leicht mit der Wertschätzung lebendiger
künstlerischer Gegenwart, in Äußerungen, die in dieser Intensität dem Norden
im ganzen genommen fremd sind. Wie dereinst im Altertum werden Ton-
modelle berühmter Meister, dann Handzeichnungen in den Werkstätten bewahrt,
und hervorragende Werke, wie die Madonnenreliefs Donatellos und seiner
Nachfolger finden in Stucknachbildungen weithin, auch in Privathäusern, Ver-
breitung. Vor allem tritt hier die im Norden nur geringfügige Kleinplastik in
Bronze, auch ein antikes Erbe, ein. Nicht nur Originalwerke selbst könnten
leicht durch den Guß vervielfältigt werden — und die sogenannte PIaquette
dient ausgiebig diesem Bedürfnis — sondern dieser Kunstzweig erweist sich
schon sehr frühe den Zwecken künstlerischer Reproduktion gefügig. Die ver-
kleinerten Nachbildungen berühmter Antiken (daneben, wiewohl seltener, audi
moderner Kunstwerke), die später einen Hauptteil der sogenannten Cinque-
centobronzen ausmachen, beginnen schon im XV. Jahrhundert, namentlich in
Mantua durch Pier Jacopo Alari, der sich selbst Antico nennt, und sie tragen
die Kenntnis antiker Form in weite Kreise. Das Wiener Hofmuseum besitzt
eine treffliche, von 1470 datierte Reduktion der später vielkopierten Marc
Aurelstatue; und noch etwas älter ist die von Filarete für Piero Medici ge-
fertigte, jetzt in Dresden. Von hier aus führt dann ein auch schon früh be-
gangener Seitenpfad zur Nachahmung und weiter zur absichtlichen Fälschung,
wie sie namentlich in dem großen Gießerzentrum Padua besonders in Schwung
gekommen ist.

Sehr lehrreich für die italienische Auffassung ist sodann die Rolle, die der
transalpinen Technik des Kupferstichs in Italien zufällt. Sie verliert dort gar
bald ihren ursprünglichen, schöpferischen, originalen und intimen Charakter;
sdion zu Anbeginn reproduziert sie Zeichnungen geschätzter Meister und dient
im Kreise Raffaels und Marcantons schon in völlig moderner Weise der
Wiedergabe von Antiken wie von zeitgenössischen Werken. Nidit weniger
frühe tritt in Italien das Gipsmuseum auf. Eines der ältesten, von dem zu
uns Kunde gelangt ist, hatte im letzten Jahrzehnt des Quattrocento Lodovico
 
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