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Schudt, Ludwig
Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 15: Wien, München: Schroll, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.48523#0397
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Schlußwort

Damit haben wir das erste große Interessengebiet der Italienfahrer, Geographie und Landeskunde, kurz
skizziert. Untrennbar damit verbunden war das Studium der langen und wechselvollen Geschichte
Italiens, die den Städten wie dem Lande gleicherweise ihren Stempel aufgedrückt hatte. Daher die immer
wiederkehrende Frage nach der Geschichte der Städte, ihren Gründern und ihren Schicksalen. Diese
geschichtlichen Erinnerungen, denen man im Süden ständig nachging, wurden wie in keinem zweiten
Lande anschaulich und lebendig gemacht durch die Ruinen der antiken Monumente, die mittelalterlichen
und zeitgenössischen Bauten und die zahllosen vom Mittelalter bis auf die Gegenwart reichenden In-
schriften, die einen unmittelbaren Einblick in das Denken der Vergangenheit gewährten und denen man
aus diesem Grunde die größte Aufmerksamkeit widmete.
Historische Studien waren in dieser Zeit ohne eine genaue Kenntnis der Verfassungsgeschichte undenk-
bar. Das Interesse, das man der Regierung und Verwaltung, der Hofhaltung, dem Heeres- und Finanz-
wesen der einzelnen Staaten und Städte entgegenbrachte, war denn auch außerordentlich. Denn jedes
der zahlreichen Territorien, in die die Halbinsel zersplittert war, besaß seine eigene aus langer Tradition
erwachsene Regierungsform, an deren Kenntnis den meisten Besuchern, wie die ständig wiederkehrenden
Abschnitte ihrer Schriften lehren, sehr viel gelegen war. Da nun die italienischen Potentaten infolge des
tatsächlichen Verlustes ihrer Souveränität gezwungen waren, äußerst vorsichtig in ihren politischen
Unternehmungen zu verfahren und sich dabei bald an die eine, bald an die andere der führenden Groß-
mächte anzulehnen, hatte sich eine ungewöhnliche Gewandtheit und Erfahrung in politischen Dingen
herausgebildet, die lebhafte Bewunderung fand, zum Studium und zur Nacheiferung anregte und Italien
zur Hohen Schule für Staatsverwaltung und Politik machte.
Über das Medium der Geschichte, das zweite sehr wichtige Interessengebiet der Zeit, gelangte man
zu der Beschäftigung mit den Menschen selbst. Man suchte das italienische Volk aus seiner Geschichte
heraus zu verstehen und so seinem den Ausländer in vielem so fremdartig anmutenden Charakter ge-
recht zu werden. Verhältnismäßig rasch bildete sich eine Anzahl feststehender Urteile über die Bewoh-
ner der einzelnen Landschaften und Städte heraus, die allerdings, meist den bewährten Handbüchern
entnommen, selten auf einem wirklichen Studium der Bevölkerung beruhten, aber die Vorstellungen,
die man sich von den Italienern machte, bedingten. Große Aufmerksamkeit wandte man dem religiösen
und wissenschaftlichen Leben zu. Da sich das Zentrum der Kirche in Italien befand, erregte das Ver-
halten des Volkes in den Gotteshäusern und bei den Kirchenfesten lebhaftes Interesse und wurde von
vielen sehr genau beobachtet. Auf wissenschaftlichem Gebiet war die Achtung vor den großen Leistun-
gen der Vergangenheit sehr hoch, und wenn auch die Tätigkeit der Gegenwart geringer eingeschätzt
wurde, so bestand doch ein lebhafter und für alle Teile anregender Verkehr unter den Gelehrten Euro-
pas, an dem auch Italien seinen Anteil hatte.
Größte Bedeutung für das Reisepublikum hatten die Feste, Spiele und Zeremonien der Italiener, wie die
auffallend zahlreichen und meist sehr ins Detail gehenden Beschreibungen bezeugen. Hier kam man dem
Volksleben in unmittelbarer Beobachtung am nächsten. Zu seinem Inbegriff wurde mit der Zeit der
Karneval, der einen ungeheuren Fremdenstrom nach Venedig und Rom zog. Seinen Festen beizuwohnen
war so wichtig, daß die Reisetermine in der Regel danach festgelegt wurden. Während dieser Zeit
waren die Theater geöffnet und damit erschloß sich die Wunderwelt der italienischen Oper mit ihrer
in Europa einzig dastehenden Bühnentechnik, Dekoration und Musik, für deren Kultur Neapel in erster
Linie berühmt war. Die Kirchenmusik, die während dieser Zeit der Feste erklang, stand auf gleicher
Höhe und trug das Ihre zum künstlerischen Ruhm des Landes bei, das als die Schule der guten Musik in
Europa galt.
Damit gelangen wir zu den Werken der bildenden Kunst, deren das Land einen so unermeßlichen von
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