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Schudt, Ludwig
Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 15: Wien, München: Schroll, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.48523#0398
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Schlußwort

der Antike bis auf die Gegenwart reichenden Schatz sein eigen nannte. Im Vordergrund des Interesses
standen die Denkmäler der Antike, die, anfänglich mehr zur Deutung und Veranschaulichung der ge-
schichtlichen Vorgänge herangezogen, nach und nach in ihrer künstlerischen Bedeutung erkannt und
gewürdigt wurden. Die Verehrung, die man ihnen entgegenbrachte, war unbegrenzt, sie galten als
schlechthin vollkommene und beispielgebende Leistungen, die zu erreichen der neueren Kunst nicht ver-
gönnt war und die als Maßstab für die Bewertung der künstlerischen Schöpfungen gelten konnten. Nur
in der Malerei hielt man die Neuzeit für überlegen, da der Eindruck der in Herkulaneum und Pompeji
zutage gekommenen Fresken ein enttäuschender gewesen war. Als richtunggebende Beispiele plastischen
Schaffens hatte man die Werke des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit vor Augen, während die
klassische griechische Kunst des fünften Jahrhunderts eher Befremden erregte und die Tempelbauten
in Pästum und Sizilien so gut wie unbeachtet blieben.
Das Eindringen der Barbaren in den Jahrhunderten nach dem Untergang des Weströmischen Reiches
hatte einen kaum vorstellbaren Niedergang der Kunst zur Folge; eine Epoche, die, unterschiedslos als
„Gotik“ bezeichnet, andauerte, bis Giotto seine Tätigkeit aufnahm. Baukunst, Plastik und die kaum
beachtete Malerei zeigten die gleichen Züge der Entartung; nur einige wenige Bauten, wie die Dome von
Pisa, Siena und Mailand, machten eine Ausnahme von der Regel. Den Werken der Bildhauerei wie der
Portalplastik von Verona und Modena konnte man allenfalls Mitleid entgegenbringen, wenn nicht das
Gegenständliche der Darstellung einiges Kuriositätsinteresse erregte. So schieden die mittelalterliche
Kunst und der mittelalterliche Städtebau aus dem Italienbild der Zeit so gut wie völlig aus.
Das Interesse für das künstlerische Schaffen erwachte erst mit der „Wiederbelebung der Kunst“, womit
man die Namen Cimabue, Guido da Siena und Giotto in Verbindung brachte. Doch vermochte man
sich mit den Arbeiten des Tre-, Quattro-, ja selbst des Cinquecento noch nicht recht zu befreunden. Eine
typische Renaissancestadt wie Florenz fand bei weitem nicht die Beachtung, die ihr heute zuteil wird.
Ein tieferes Interesse machte sich erst bei den Werken der Hoch- und noch mehr der Spätrenaissance
bemerkbar, um mit den Schöpfungen der unmittelbaren Gegenwart, also des Barock, allgemein zu
werden. Rom, dem die Bauten Berninis und Borrominis das Gepräge einer Barockstadt verliehen hatten,
stand daher im Mittelpunkt des Interesses; ihm folgten die hochgeschätzten Kirchen Neapels, während
Turin und Livorno als Musterbeispiele einer regelmäßigen und rationellen Stadtanlage allgemeine Be-
wunderung fanden.
Der Plastik, die mehr als ein Bestandteil der Gesamtdekoration der Bauten angesehen wurde, wandte
man nicht die gleiche Aufmerksamkeit zu. Für ihre Bewertung gilt im wesentlichen dasselbe wie für die
Architektur. Den Werken Michelangelos zollte man mit einem gewissen inneren Widerstreben die ge-
bührende Bewunderung, vermochte sich aber erst an den Schöpfungen Giambolognas, Berninis und
Algardis richtig zu erwärmen, zumal nach dem allgemeinen Empfinden nur diese Meister der Antike
wirklich nahegekommen waren.
An den Werken der Malerei nahm man so lebhaften Anteil, daß auch die Arbeiten des 13. bis 15. Jahr-
hunderts häufig besprochen, allerdings meist abgelehnt und nur als Vorstufen zu den Leistungen der
Hochrenaissance gewertet wurden. Die Meister der klassischen Zeit der italienischen Kunst waren jedem
Gebildeten geläufig: Raffael war der Mann, der in seinen Arbeiten den Gipfelpunkt alles künstlerischen
Schaffens erreicht hatte. Ihm standen die Werke Michelangelos, deren Inbegriff das Jüngste Gericht aus-
machte, ebenbürtig zur Seite, wenn sie auch umstrittener waren als die Schöpfungen des großen Urbina-
ten. Das Dreigestirn Tizian, Tintoretto und Veronese, der letztere an Anmut mit Raffael vergleichbar,
symbolisierte die Malerei Venedigs, und Correggio leitete als Begründer der Lombardischen Schule zu
den Meistern der „Gegenwart“, den Carracci, über. Diesen war es vergönnt gewesen, alle Vorzüge der

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