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Schudt, Ludwig
Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 15: Wien, München: Schroll, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.48523#0400
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Schlußwort

Rom über eine von der Antike bis auf die Gegenwart reichende Tradition des künstlerischen Schaffens,
wobei man die Ruinen der alten Stadt zur Vertiefung seiner historischen Kenntnisse benutzen oder vom
rein künstlerischen Standpunkt aus betrachten konnte. Der Vergleich mit den Werken der Neuzeit lag
nahe, und wenn auch das hohe Vorbild der Antike als unerreichbar galt, so machte man doch mit Genug-
tuung die Feststellung, daß die Werke Raffaels und Michelangelos neben ihr durchaus bestehen konnten,
ja daß Raffael sie in seinen besten Arbeiten nahezu erreicht hatte, als der einzige, dem dies vergönnt
gewesen war. Doch brauchte auch die Gegenwart diesen Vergleich nicht zu scheuen. Bernini war mit
seiner Apollo-und-Daphne-Gruppe und dem Bau von S. Andrea al Quirinale ihrem Vorbild sehr nahe-
gekommen, und da seine und seiner Zeitgenossen Kunst als die gegenwartnaheste das Publikum am
stärksten anzog, blieb das Bild der modernen barocken Stadt das bestimmende für die Zeit.
„Rome est de tout le monde un public eschaffaut,
Une scene, un Theätre, auquel rien ne deffaut.“2
An zweiter Stelle stand Venedig, das, auf eine lange Geschichte zurückblickend, sich einer bewährten,
aus uralter Tradition erwachsenen Staatsverwaltung rühmen konnte. Die meisten Fremden zog aber sein
durch mehrere Monate sich hinziehender Karneval an sowie die zahlreichen mit großer Prachtentfaltung
verbundenen Feste, unter denen die zu Christi Himmelfahrt stattfindende Vermählung des Dogen mit
dem Meer die Welt so sehr in Atem hielt, daß dieser Tag einen die Anlage der Italienreise bestimmenden
Termin bildete. Die stattliche Zahl seiner Bauten, der Markusplatz, das schon seit dem Mittelalter
.berühmte Arsenal und die unvergänglichen Schöpfungen seiner Maler taten ein übriges, um den Auf-
enthalt anziehend zu gestalten.
Neapel, das an dritter Stelle zu nennen ist, wurde wegen der Ruinen der Phlegräischen Felder, der Aus-
grabungen von Herkulaneum und Pompeji, deren wichtigste Funde in dem einzigartigen Museum von
Portici vereinigt waren, als der wichtigste Ort für das Studium der antiken Kunst nach Rom angesehen.
Außerdem boten die Naturphänomene der Umgebung, der Vesuv sowohl wie die nicht minder berühmte
Solfatara bei Pozzuoli und die Hundsgrotte am See von Agnano, dem Naturwissenschaftler ein reiches
Feld für Beobachtungen und Vermutungen über die vulkanische Beschaffenheit des Landes und die
daraus entspringenden Vorgänge. Die Verwaltung des Staates durch die spanischen Vizekönige und
späterhin das Regierungssystem des Königreichs beider Sizilien sowie die Stellung des Adels nahmen die
Interessen des Historikers in Anspruch, während auf dem Gebiete der Kunst ein besonders intensives
Musik- und Theaterleben und eine rührige Malerschule der Stadt weiteren Reiz verliehen, womit sich
eine rege wissenschaftliche Tätigkeit, vorwiegend auf naturwissenschaftlichem Gebiet verband.
Neben diesen drei Städten, den berühmtesten und beliebtesten Italiens, die die wesentlichen Zielpunkte
jeder Reise bildeten und für ihre Anlage bestimmend waren, traten alle übrigen Orte zurück. Zunächst
ist Turin zu nennen, dessen vorbildliche Stadtanlage sich europäischer Berühmtheit erfreute. Die Bauten
Guarinis, sehr verschieden beurteilt, regten zu lebhafter Diskussion an, und die Superga galt gleich nach
ihrer Entstehung als ein Beispiel edelster Architektur. Mit der ständig steigenden Macht der Könige von
Savoyen gewann deren Hofhaltung an Bedeutung und dementsprechend nahm das Interesse an ihren
politischen Unternehmungen, ihrer mehr und mehr als vorbildlich angesehenen Staats- und Heeresver-
waltung und Finanzgebarung zu. Die gut ausgestattete Universität bot den Gelehrten durch ihren regen
wissenschaftlichen Betrieb viel Anregung.
2 Rom ist ein Schauplatz der ganzen Welt, eine Bühne, ein Theater, auf dem nichts fehlt. Marquis de Voloyer Fontenay
Mareuil, S. 157.

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