Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Schudt, Ludwig
Italienreisen im 17. und 18. Jahrhundert — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 15: Wien, München: Schroll, 1959

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48523#0402
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Schlußwort
angesehen wurde, und den unermeßlich reichen Kirchenschatz auch dem Liebhaber und Kenner viel zu
bieten.
Die Berichte, die von diesen mannigfachen Eindrücken auf uns gekommen sind, weisen eine seltsame
Gleichförmigkeit auf. Alles stand eigentlich fest: die Reihe der zu besuchenden Städte, der Weg und die
Reihenfolge, in der sie zu erreichen waren, die anzustellenden Beobachtungen und die auszusprechenden
Urteile, alles war durch eine lange Tradition zum Gemeingut der Gebildeten geworden. Dazu kommt
die den heutigen Leser so befremdend anmutende Art, ohne spürbare innere Anteilnahme von seinen
Erlebnissen zu erzählen, wobei man kein Bedenken trug, seinen Vorgängern umfangreiche Abschnitte zu
entnehmen, ein Umstand, der nicht gerade dazu beitrug, die Literatur abwechslungsreicher zu gestalten.
Daher ist es nur nach genauem Studium der vielen einschlägigen Schriften möglich, ein einigermaßen
sicheres Urteil darüber abzugeben, was der einzelne bei seiner Scheu oder Unfähigkeit, ein selbständiges,
persönlich gefärbtes Urteil abzugeben, aus eigenem zur Kenntnis des Landes beigetragen hat.
Man kam nicht recht zu einem wirklichen Urteil, sondern beschränkte sich mit einer für die heutige Zeit
kaum erträglichen Nüchternheit darauf, über die Tatsachen zu referieren. So wird man in den immer
wieder auftretenden und mitunter durch Abbildungen erläuterten Beobachtungen über die Regierung
Venedigs vergeblich nach einer Bewertung derselben suchen; der Umstand, daß man sie überhaupt ein-
gehend besprach, zeugt bereits von ihrer hohen Wertschätzung. Das gleiche gilt von allen anderen Dingen,
mag es sich nun um Land, Volk, Religion, Wissenschaft, Karneval, Theater oder bildende Kunst handeln.
Das Bestreben, sich in die Natur des Landes, die Eigenarten seiner Bewohner und seine Kunst einzufühlen
und dadurch in ein inneres Verhältnis zu ihnen zu treten, was von selbst zu einer lebendigeren und
persönlicheren Darstellungsweise geführt hätte, fehlt für die Zeit bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts
so gut wie völlig. Die Äußerungen, die uns aus dieser Periode vorliegen, muten wie die Anwendung fest-
stehender bewährter Qualitätsurteile auf die Umwelt an, Urteile, die, soweit sie sich auf Land, Volk und
Staat bezogen, in den dickleibigen Handbüchern des Leandro Alberti und Luca di Linda festgelegt waren
und auf dem Gebiet der bildenden Kunst den viel gelesenen Theoretikern des ausgehenden Cinquecento,
vor allem Lomazzo und der Einleitung zu den Viten Vasaris entstammten.
Von selbständigem Denken konnte nur bei einigen überlegenen Geistern die Rede sein. Der älteste und
bedeutendste unter ihnen war Montaigne, der scharf beobachtend und kritisch urteilend den Gesichts-
kreis seiner Zeit bei weitem überschritt. John Evelyn brachte in seinem Tagebuch eine bedeutende
Erweiterung des zu behandelnden Stoffs, ohne in seiner Darstellung prinzipiell neue Gesichtspunkte auf-
zuweisen. Persönlicher und farbiger wirkten die gewandt geschriebenen Aufzeichnungen Missons, die
dadurch für eine Reihe von Generationen das meist benutzte und ausgeschriebene Handbuch wurden.
Während die umfangreichen systematischen Werke wie die „Ausführliche Reißbeschreibung“ und
Keyßlers „Neueste Reisen“ den Leser lediglich mit gewaltigen neuen Stoffmassen plagten und bei den
gelehrten Patres Montfaucon und Mabillon der Eindruck des Landes hinter den Schätzen seiner Biblio-
theken und Archive zurücktrat, entwickelte im 18. Jahrhundert das Schrifttum seine eigentliche Blüte.
Die Persönlichkeit des Reisenden trat jetzt mehr in den Vordergrund, die Schreibweise wurde individu-
eller, die Art der Beobachtung unmittelbarer, Kritik und Urteil persönlicher und schärfer, man wagte
jetzt seine Neigungen und Abneigungen entschiedener zum Ausdruck zu bringen, so daß bei dem Leser
die Vorstellung entsteht, daß die Aufzeichnungen unter dem unmittelbaren Eindruck des Gesehenen und
Erlebten entstanden. Diese Eigenschaften, die sich bereits bei Burnet vorgebildet fanden, kennzeichnen
Addisons „Remarks“, finden sich wenige Jahre später in den eigenwilligen Schriften des Pere Labat,
machen die Bücher eines Caylus und Montesquieu noch heute zu einer anregenden Lektüre und lassen uns
an den bissigen Bemerkungen von Pöllnitz, Sharp und Smollett Anteil nehmen, bis sie sich in den unver-
3%
 
Annotationen