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Schulz, Fritz Traugott
Typisches der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild: eine germanistisch-antiquarische Untersuchung — Göttingen, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3971#0062
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62

Locken umwallte Haupt zur Seite geneigt; der Blick zu Boden
gerichtet. Also auch hier haben wir, wie bereits oben be-
merkt, einen trauernden Dichter vor uns; und zu dieser Auf-
fassung bestimmte uns wiederum die Beziehung, welche unser
Bild zu einem Teile der Dichtung aufweist, welche Beziehung
von Oechelhaeuser aber nur zum Teil erkannt worden
ist. Es verhält sich mit unserem Bilde ähnlich wie mit dem
Heinrich's von Veldeke: wie dort in der Dichtung von Blumen
die Rede ist, und wie auf dem Bilde Blumen den ganzen
Hintergrund bedecken, wie dort in der Dichtung der Vöglein
gedacht wird, deren Sang „niuive märe" bringt, und wie
auf dem Bilde Vögel von allen Seiten den Dichter umflattern,
wie dort in der Dichtung des Sängers schmerzlicher Kummer
geschildert wird, und wie auf dem Bilde der Sänger als ein
in Trauer versunkener dargestellt ist, so auch hier. Unser
Bild bezieht sich nämlich auf die 1. Strophe des 1. Liedes;
dieselbe lautet:

Gewan ich ze Minnen ie guoten ivän,

nu hau ich von ir iveder tröst noch gedingen,

ican ich enweiz wie mir süle gelingen,

sit ich si mac weder läzen noch hän.

mir ist als dem der üf den boum da stiget

und niht höher mac und da mitten belibet

und ouch wider komen mit nihte Ican

und also die zit mit sorgen hin tribet.

Tiefer Kummer hat des Sängers Herz ergriffen, „mit sorgen"
i. e. in gedrückter Stimmung bringt er seine Zeit dahin; es
ist ihm zu Mute, wie dem Manne, der sich hoch oben in
einem Baum verstiegen hat, und nun nicht vor- noch rückwärts
kann. Die Trauer wird auf dem Bilde durch das Seitwärts-
neigen des Hauptes bezeichnet; der Baum, in dessen Schatten
der Dichter sitzt, ist eine Anspielung, allerdings etwas freier
Natur1), auf den Vergleich mit dem Mann, der sich in den
höchsten Zweigen eines Baumes verstiegen. Und welches ist
der Grund seiner Trauer? Sie wird veranlasst, ebenso wie
bei Heinrich von Veldeke, durch Unglück in der Liebe. Und

1) So auch Oechelhaeuser, a. a. 0.
 
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