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Schulz, Fritz Traugott
Typisches der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild: eine germanistisch-antiquarische Untersuchung — Göttingen, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3971#0063
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63

diesen Kummer hat er sich, wie wir aus dem Schluss des V.
Liedes erfahren, selber bereitet; denn die, welche zu er-
werben, ihm wenig Mühe bereiten würde, die flieht er, wäh-
rend er die, welche ihn hasst, innig liebt. Voll Schmerz ruft
er daher am Schluss der 1. Strophe des VI. Liedes aus:

o tve, wie nu Kit mich verderben diu here!
Die silbenzähleude Handbewegung der Rechten scheint, ebenso
wie bei Heinrich von Veldeke, keine zufällige zu sein; denn
ich glaube, wohl annehmen zu dürfen, dass dem Maler des
Grundstocks die Thatsache bekannt war, dass Fenis beim
Schmieden seiner Verse zur Herstellung eines strengen Me-
trums die Silben zu zählen pflegte.

Das dem unsrigen entsprechende Bild der Weingartner
Liederhandschrift auf S. 4 der Stuttgarter Ausgabe, welches
die Ueberschrift : GRAVE ; R • UON • FENIS • trägt, eine Be-
zeichnung, welche von der zwischen dem Neuenburger und
Bielersee gelegenen Stammburg herrührt'), zeigt doch zu
grosse Abweichungen von den oben aufgestellten Merkmalen,
als dass wir annehmen dürften, der Künstler der Stuttgarter
Handschrift habe den Dichter als trauernden darstellen wollen.
Abweichend von dem Bild der Pariser Handschrift, ist der
Sänger auf einem grünen Hügel sitzend dargestellt; doch ist
der Oberkörper nicht nach vorn geneigt, sondern ebenso, wie
das von einem goldenen Kronreif gezierte und von reichen
blonden Locken umgebene Haupt gerade aufgerichtet. Die
den Schriftzettel haltende Linke ist weit über dem linken
Knie erhoben; noch höher ist die, auch hier die Bewegung
des Silbenzählens machende Rechte gelegt. Hier scheint doch
allzu deutlich die Absicht vorgeschwebt zu haben, den Sänger
als dichtenden, und nicht als einen in Trauer versenkten dar-
zustellen, und so mit dem Bilde eine Illustration zu dem ge-
samten nachfolgenden Text zu liefern. Ich kann daher auch
die Uebereinstimmung zwischen beiden Bildern nicht als eine
so vollkommene bezeichnen, wie Oechelhaeuser es thut;
wohl glaube ich, dass auch hier beide Maler nach einem ge-

1) Sieho Zangemeister, a.a.O. S. 2.
 
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