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Schulz, Fritz Traugott
Typisches der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild: eine germanistisch-antiquarische Untersuchung — Göttingen, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3971#0064
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meinsaraen Vorbild gearbeitet haben; doch hat jeder dem
Ganzen seinen eigenen Gedanken gegeben und darnach ge-
ändert. Also auch hier können wir die Beobachtung machen,
wie sehr der Maler der Pariser Liederhandschrift bemüht ge-
wesen ist, bei der Anfertigung seiner Bilder einen engeren
und getreueren Anschluss an den Text zu erzielen.

In einer ähnlichen Positur wie Heinrich von Veldeke,
Walther von der Vogelweide und Rudolf von Neuenburg,
sehen wir Reinmar vonZweter auf dem 118. Bilde unserer
Handschrift1). Doch sind es hier 3 Umstände, welche eine
andere Auffassung des Ganzen erfordern. Hier ist nicht der
Sänger als trauender dargestellt, sondern als sinnender und
zugleich dictierender. Wie Rudolf von Neuenburg sitzt Rein-
mar von Zweter auf einer Bank, welche hoch oben im Bilde
hinter einer grünen Mauer angebracht erscheint. Die Scene
spielt im Innern des Hauses, wie die Bogenreihe im oberen
Teile des Bildes andeuten will. Der rechte Fuss des Dichters
ist vorgestreckt und ruht in einer der Zinnenöffnungen auf,
während der linke bis zu einem schmalen Wulste, der um
das Gestell des Sitzes herumläuft, hinaufgezogen ist. Das auf
diese Weise erhöhte Knie dient dem Ellbogen des linken
Armes als Stütze; ebendort findet anch die vorgestreckte
Rechte ihr Auflager. Der Oberkörper ist nach vorn geneigt;
das Haupt von einem Pelzbarett bedeckt. 3 Gründe also sind
es, welche uns zu einer anderen Auffassung der Situation be-
stimmen müssen als bei den 3 oben behandelten Bildern.
Zunächst ist das Haupt des Sängers nicht auf die innere
Fläche der Linken aufgestützt, welcher Gestus der der Trauer
wäre, sondern es ist gegen den äusseren Teil derselben ge-
lehnt; und dies ist der Gestus des Sinnens und tiefen Nach-
denkens. Weiter hat der Dichter und zwar zur inneren Samm-
lung, um nichts von der ihn umgebenden Welt zu sehen,
sondern nur in der seiner Gedanken zu leben, die Augen
geschlossen. Endlich finden wir weiter unten 2 Schreiber,
einen Mann und ein Mädchen, dargestellt, wie sie im Begriffe
sind, des Minnesängers Dichtungen nach dessen Dictat nieder-
zuschreiben.

1) Vgl. A. von Oechelhaeuser, a.a.O. S. 296—298,
 
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