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III. Das Rnchskammergericht.
eonk688i nicht völlig zu entbehren. Doch nur auf einem Umwege, unter
Anknüpfung an die rvmischen int6imoMtion68 in,fui'6 schien die Erreichung
dieses Zieles möglich. Es wurde üblich, die Klageerzählung in einzelne,
strikt beantwortbare Frage-Sätze „nrtienli", „po8ition68" aufzulösen. Vor-
her hatten die Parteien den allgemeinen Calumnieneid zu leisten, der u. a.
auch das Versprechen enthielt: so oft man ,,im Rechten gefragt werde"
„die Wahrheit nicht zu verhalten", eine Wendung, die nur dcm principiellen
Streben nach Ermittelung absoluter Wahrheit anch im bürgerlichen
Processe entspricht. Mit Rücksicht auf dieses vorausgegangene eidliche
Versprechen nun folgerte man, wcnn die Antwort ausgeblieben, oder
ungenügend ertheilt worden war, dasz der Befragte die gegnerische Be-
hauptung nicht habe leugnen können, sie mithin zugestehen mnsse. Dieses
Verfahren eignete sich der Reichskammergerichtsproeeß an, dasselbe enthob
auch den Richter einer besonderen Regelung der Beweislast, denn jcde
Partei mußte von ihren in Frageform gekleideten Behauptungen diejenige
beweisen, welche nicht vom Gegner ausdrücklich zugestanden worden war,
oder in Folge seines Ungehorsams als zugestanden galt. Auf alle Partei-
äußerungen im Processe wurde dies System der Positionen und Responsionen
ausgedehnt, Klage, Einredeschrift, Replik, Duplik musjten, wenn nicht die
Gegenpartei vom Zwange zu speeieller Antwort befreit und die fragende
Partei durchweg beweispflichtig sein sollte, in die steife weitläufige Artikel-
form gebracht werden. War dies einmal als stets nothwendig anerkannt,
so schien es nur consequent, die soforti ge Articulirung der Klage zu ge-
bieten. Diese Vorschrift der Kammergerichtsordnung von 1521 konnte in-
dessen nicht aufrecht erhalten werden, die Gesetzgebung hob sie wieder auf;
offenbar war die Praxis der Neuerung nicht besonders geneigt, der con-
sequenten canonischen Theorie aber schien es vielleicht unbillig, den Kläger
zur Articulirung seiner Klagebehauptungen zu zwingen vor Erledigung
eines etwaigen dilatorischen Zwischenverfahrens. Ebenso hielt man fest an
dem überkommenen besonderen Litiseontestationstermin, in dem mehr nicht
erreicht wurde, als die allgemeine Feststellung der Absicht des Beklagten,
den Proceß aufzunehmen. Nach diesem Formalakt erst begann mit Ein-
reichung der Klageartikel die eigentliche Darlegung des Sachverhalts. —
Ein weiterer Nachtheil des Artikelverfnhrens lag dann in der Möglichkeit
von Zwischenstreitigkeiten über die Zulässigkeit der eingebrachten Positionen.
Jene Doctrin, die nichts so sehr scheute, als die Handhabung processualischen
Zwanges gegen die Parteien, mußte offenbar willig alle Rechtsbehelfe
zulassen vor Androhung der p06iin eonk688i. Es durfte also jeder An-
griffshandlung der einen Partei von der andern Partei, zu beqnemer Ver-
zögerung der Sache, mit dem Einwand begegnet werden: der Fragesatz
sei so gefaßt, daß eine bestimmte Antwort nicht ertheilt, nlso dem Vefragten
III. Das Rnchskammergericht.
eonk688i nicht völlig zu entbehren. Doch nur auf einem Umwege, unter
Anknüpfung an die rvmischen int6imoMtion68 in,fui'6 schien die Erreichung
dieses Zieles möglich. Es wurde üblich, die Klageerzählung in einzelne,
strikt beantwortbare Frage-Sätze „nrtienli", „po8ition68" aufzulösen. Vor-
her hatten die Parteien den allgemeinen Calumnieneid zu leisten, der u. a.
auch das Versprechen enthielt: so oft man ,,im Rechten gefragt werde"
„die Wahrheit nicht zu verhalten", eine Wendung, die nur dcm principiellen
Streben nach Ermittelung absoluter Wahrheit anch im bürgerlichen
Processe entspricht. Mit Rücksicht auf dieses vorausgegangene eidliche
Versprechen nun folgerte man, wcnn die Antwort ausgeblieben, oder
ungenügend ertheilt worden war, dasz der Befragte die gegnerische Be-
hauptung nicht habe leugnen können, sie mithin zugestehen mnsse. Dieses
Verfahren eignete sich der Reichskammergerichtsproeeß an, dasselbe enthob
auch den Richter einer besonderen Regelung der Beweislast, denn jcde
Partei mußte von ihren in Frageform gekleideten Behauptungen diejenige
beweisen, welche nicht vom Gegner ausdrücklich zugestanden worden war,
oder in Folge seines Ungehorsams als zugestanden galt. Auf alle Partei-
äußerungen im Processe wurde dies System der Positionen und Responsionen
ausgedehnt, Klage, Einredeschrift, Replik, Duplik musjten, wenn nicht die
Gegenpartei vom Zwange zu speeieller Antwort befreit und die fragende
Partei durchweg beweispflichtig sein sollte, in die steife weitläufige Artikel-
form gebracht werden. War dies einmal als stets nothwendig anerkannt,
so schien es nur consequent, die soforti ge Articulirung der Klage zu ge-
bieten. Diese Vorschrift der Kammergerichtsordnung von 1521 konnte in-
dessen nicht aufrecht erhalten werden, die Gesetzgebung hob sie wieder auf;
offenbar war die Praxis der Neuerung nicht besonders geneigt, der con-
sequenten canonischen Theorie aber schien es vielleicht unbillig, den Kläger
zur Articulirung seiner Klagebehauptungen zu zwingen vor Erledigung
eines etwaigen dilatorischen Zwischenverfahrens. Ebenso hielt man fest an
dem überkommenen besonderen Litiseontestationstermin, in dem mehr nicht
erreicht wurde, als die allgemeine Feststellung der Absicht des Beklagten,
den Proceß aufzunehmen. Nach diesem Formalakt erst begann mit Ein-
reichung der Klageartikel die eigentliche Darlegung des Sachverhalts. —
Ein weiterer Nachtheil des Artikelverfnhrens lag dann in der Möglichkeit
von Zwischenstreitigkeiten über die Zulässigkeit der eingebrachten Positionen.
Jene Doctrin, die nichts so sehr scheute, als die Handhabung processualischen
Zwanges gegen die Parteien, mußte offenbar willig alle Rechtsbehelfe
zulassen vor Androhung der p06iin eonk688i. Es durfte also jeder An-
griffshandlung der einen Partei von der andern Partei, zu beqnemer Ver-
zögerung der Sache, mit dem Einwand begegnet werden: der Fragesatz
sei so gefaßt, daß eine bestimmte Antwort nicht ertheilt, nlso dem Vefragten