Unmittelbarkeit im deutschen Processe.
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wenn ihm entgegengewirkt werden sollte, so mußte nothwendig dns Offieial-
prineip immer mehr begünstigt werden; ja selbst der Versuch, auch im ordent-
lichen Processe die Herrschast des Verhandlungsprincips, wenn nicht ganz zu
brechen, so doch erheblich einzuschränken, konnte nicht ausbleiben.
Und schließlich: war nicht ein solcher Entwickelungsgang im Wesen
der neuen Lehre selbst begründet? Lag nicht im sremden Proceßrechte
selbst, das um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit so plötzlich und
kritiklos übernommen worden wnr, ein gewaltiger innerer Widerspruch, der
der Lösung nuf deutschem Boden harrte? — Der Fortschritt, der durch die
Reception auf dem Gebiete des Proceßrechts für Deutschland angebahnt
war, bestand vor allem in der Durchsetzung des Gedankens, daß das
Civilversahren nach Mvglichkeit materielle Wahrheit festzustellen, objectives
Recht zu verwirklichen habe, also in der Nebernahme der materiellen
Beweistheorie, die der richterlichen Ueberzeugung, wenn auch unter Auf-
stellung einschrnnkender Beweisregeln, anheimgnb, über Wahrheit oder
Unwahrheit der Parteibehauptungen zu entscheiden. Und wie waren die
Verhandlungen geregelt, denen der Richter das Material zur Bildung
seiner derart maßgebenden Ueberzenglmg zil entnehmen hatte? — Sie
spielten sich ab in schier unendlicher Reihensolge, ganz überlassen dem Be-
lieben der nur ihr subjectives Jnteresse verfolgenden Parteien. Dem
Richter selbst, der sich vor die hohe Aufgabe, wahres Recht zu sprechen,
gestellt sah, — ihm war die Möglichkeit zu unmittelbarem Eingreifen so
gut wie ganz entzogen! _
„Herr Richter ich klage god vnd ju" — das sind die Worte, mit
denen im deutschen Mittelalter der Kläger die Parteiverhandlung vor
Gericht eröffnete. Sie sind bezeichnend. Freiheitssinn und Selbstbewußt-
ein des schlichtgläubigen Deutschen bedurften, wenn die volle Beugung
unter die Richtergewalt erträglich erscheinen sollte, der steten Vorhaltung
dessen, daß diese Gewalt an letzter Stelle auf göttlicher Verleihung beruhe.
Aber der Richter giebt durch die Verkündung dem Urtheil nur die
formelle Sanction. Das Urtheil wird gefunden nicht von ihm, sondern
von der Versammlung der Genossen, oder vom Ausschuß derselben, den
Schöffen. Und als ein Theil des Recht wissenden Volkes, dieser Zu-
gehörigkeit stets bewußt, stehen die Prozeßparteien des Mittelalters zu ihrem
Richter und zu den Schöffen, — heute Urtheil heischend, morgen selbst
Urtheil findend. Diese Zweiung des Gerichts: ein Mal der Vertreter der
obrigkeitlichen Gewalt, den Parteien übergeordnet, und andererseits die
gleichberechtigten Genossen der Parteien als Urtheiler, ist eigenthümlich
germanisch deutsch, sie bestimmt mit Nothwendigkeit die Stellung der
Parteien während der Verhandlung.
Schwartz, Dsutsche Ciyilproceßgesetzgebung.
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wenn ihm entgegengewirkt werden sollte, so mußte nothwendig dns Offieial-
prineip immer mehr begünstigt werden; ja selbst der Versuch, auch im ordent-
lichen Processe die Herrschast des Verhandlungsprincips, wenn nicht ganz zu
brechen, so doch erheblich einzuschränken, konnte nicht ausbleiben.
Und schließlich: war nicht ein solcher Entwickelungsgang im Wesen
der neuen Lehre selbst begründet? Lag nicht im sremden Proceßrechte
selbst, das um die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit so plötzlich und
kritiklos übernommen worden wnr, ein gewaltiger innerer Widerspruch, der
der Lösung nuf deutschem Boden harrte? — Der Fortschritt, der durch die
Reception auf dem Gebiete des Proceßrechts für Deutschland angebahnt
war, bestand vor allem in der Durchsetzung des Gedankens, daß das
Civilversahren nach Mvglichkeit materielle Wahrheit festzustellen, objectives
Recht zu verwirklichen habe, also in der Nebernahme der materiellen
Beweistheorie, die der richterlichen Ueberzeugung, wenn auch unter Auf-
stellung einschrnnkender Beweisregeln, anheimgnb, über Wahrheit oder
Unwahrheit der Parteibehauptungen zu entscheiden. Und wie waren die
Verhandlungen geregelt, denen der Richter das Material zur Bildung
seiner derart maßgebenden Ueberzenglmg zil entnehmen hatte? — Sie
spielten sich ab in schier unendlicher Reihensolge, ganz überlassen dem Be-
lieben der nur ihr subjectives Jnteresse verfolgenden Parteien. Dem
Richter selbst, der sich vor die hohe Aufgabe, wahres Recht zu sprechen,
gestellt sah, — ihm war die Möglichkeit zu unmittelbarem Eingreifen so
gut wie ganz entzogen! _
„Herr Richter ich klage god vnd ju" — das sind die Worte, mit
denen im deutschen Mittelalter der Kläger die Parteiverhandlung vor
Gericht eröffnete. Sie sind bezeichnend. Freiheitssinn und Selbstbewußt-
ein des schlichtgläubigen Deutschen bedurften, wenn die volle Beugung
unter die Richtergewalt erträglich erscheinen sollte, der steten Vorhaltung
dessen, daß diese Gewalt an letzter Stelle auf göttlicher Verleihung beruhe.
Aber der Richter giebt durch die Verkündung dem Urtheil nur die
formelle Sanction. Das Urtheil wird gefunden nicht von ihm, sondern
von der Versammlung der Genossen, oder vom Ausschuß derselben, den
Schöffen. Und als ein Theil des Recht wissenden Volkes, dieser Zu-
gehörigkeit stets bewußt, stehen die Prozeßparteien des Mittelalters zu ihrem
Richter und zu den Schöffen, — heute Urtheil heischend, morgen selbst
Urtheil findend. Diese Zweiung des Gerichts: ein Mal der Vertreter der
obrigkeitlichen Gewalt, den Parteien übergeordnet, und andererseits die
gleichberechtigten Genossen der Parteien als Urtheiler, ist eigenthümlich
germanisch deutsch, sie bestimmt mit Nothwendigkeit die Stellung der
Parteien während der Verhandlung.
Schwartz, Dsutsche Ciyilproceßgesetzgebung.
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