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VII. Deutsche Rechtsgedanken.
Es ist oben an verschiedenen Beispielen gezeigt worden, dast die
romanisirenden partieularen Proceßordnungen immer häufiger über die
theoretische Construetion hinwegsahen und, zur Verhütung des Eidesmiß-
brauchs, die xosnn eonk688i zuließen, auch wenn ohne Calumnien- bzw.
Artikeleid procedirt wurde. Die Beiseitelassung der Eide setzte aber meist
Einverständniß beider Parteien voraus, und an der Artikelform wurde
schlechthin festgehalten. Eine erhebliche Annüherung an die deutsch-sächsischen
Contumacialgrundsätze ist hierin zwar zu ^rblicken, immerhin war beim gänz-
lichen Ausbleiben des Beklagten derKläger beweispflichtig, es wurde regelmäßig
die Verneinung der Klage angenommen. Doch auch in letzterer Beziehung
finden sich schon früh vereinzelte Abweichungen, manche Gesetze bringen
neben dem romanischen Contumacialverfahren im ordentlichen Processe für
gewisse Proceßarten das deutsche Contumacialprincip zur Geltung. Später
erfolgt dann die vollständige Abschaffung des articulirten Verfahrens und
immer bewußter erblickt im 18. Jahrhundert die deutsche Partieular-
gesetzgebung den Weg zur Besserung des Rechtsganges in der Rückkehr zum
nationalen Contumacialrechte (Braunschweig, Hessen, Würzburg, Baden).
Die Reichsgesetzgebung hat an dieser gesunden Entwickelung nicht
Theil genommen, in ihrer ablehnenden Haltung lag vielmehr ein Hinderniß
für die Particulargesetzgebungen. Andererseits hat Kursachsen unentwegt an
der „Schärfe des sächsischen Rechts" festgehalten und damit das meiste
gethan zur Bewahrung des deutschen Contumacialgrundsatzes. — Das meiste,
nicht alles, dcnn die auf Ileberwindung des Positionenverfahrens gerichtete
Bewegung in den Staaten mit romanisirenden Proceßordnungen (z. B. in
Würtemberg) strebt zwar nach gleichem Ziele, ist aber doch wohl eine selb-
stündige, nicht durch das sächsische Vorbild beeinflußte.
Der Lanf des Processes von der Klage bis zum abschließenden
llrtheile umfaßt, ^e nach der geringeren oder größeren Verwickelung des
Streitfalles, eine kürzere oder längere Reihe von Verhandlungen, die jede
für sich, ferner im Verhältnisse zu einander und demnächst in ihrem
Einslusse auf das im Urtheil festzustellende Gesammtergebniß zu prüfen
und zu würdigen sind. Die prüfende Thätigkeit des Urtheilers hat zur
nothwendigen Voraussetzung eine Sonderung und Gliederung des Streit-
materials, die sich bei einfacher Sachlage fast unbewußt vollzieht, in com-
plicirterem Falle deutlicher zur Erscheinung kommt, niemals ausbleiben kann;
Sonderung, Gliedernng, zuletzt Zusammenfassung der Einzelergebnisse sind
unerläßliche Stadien der richterlichen Thätigkeit bei der Urtheilsfällung.
Aber eine gleichartige Thätigkeit üben auch die Parteien aus, weil
sie bei jeder einzelnen Handlung und Verhandlung über Vedeutung und
VII. Deutsche Rechtsgedanken.
Es ist oben an verschiedenen Beispielen gezeigt worden, dast die
romanisirenden partieularen Proceßordnungen immer häufiger über die
theoretische Construetion hinwegsahen und, zur Verhütung des Eidesmiß-
brauchs, die xosnn eonk688i zuließen, auch wenn ohne Calumnien- bzw.
Artikeleid procedirt wurde. Die Beiseitelassung der Eide setzte aber meist
Einverständniß beider Parteien voraus, und an der Artikelform wurde
schlechthin festgehalten. Eine erhebliche Annüherung an die deutsch-sächsischen
Contumacialgrundsätze ist hierin zwar zu ^rblicken, immerhin war beim gänz-
lichen Ausbleiben des Beklagten derKläger beweispflichtig, es wurde regelmäßig
die Verneinung der Klage angenommen. Doch auch in letzterer Beziehung
finden sich schon früh vereinzelte Abweichungen, manche Gesetze bringen
neben dem romanischen Contumacialverfahren im ordentlichen Processe für
gewisse Proceßarten das deutsche Contumacialprincip zur Geltung. Später
erfolgt dann die vollständige Abschaffung des articulirten Verfahrens und
immer bewußter erblickt im 18. Jahrhundert die deutsche Partieular-
gesetzgebung den Weg zur Besserung des Rechtsganges in der Rückkehr zum
nationalen Contumacialrechte (Braunschweig, Hessen, Würzburg, Baden).
Die Reichsgesetzgebung hat an dieser gesunden Entwickelung nicht
Theil genommen, in ihrer ablehnenden Haltung lag vielmehr ein Hinderniß
für die Particulargesetzgebungen. Andererseits hat Kursachsen unentwegt an
der „Schärfe des sächsischen Rechts" festgehalten und damit das meiste
gethan zur Bewahrung des deutschen Contumacialgrundsatzes. — Das meiste,
nicht alles, dcnn die auf Ileberwindung des Positionenverfahrens gerichtete
Bewegung in den Staaten mit romanisirenden Proceßordnungen (z. B. in
Würtemberg) strebt zwar nach gleichem Ziele, ist aber doch wohl eine selb-
stündige, nicht durch das sächsische Vorbild beeinflußte.
Der Lanf des Processes von der Klage bis zum abschließenden
llrtheile umfaßt, ^e nach der geringeren oder größeren Verwickelung des
Streitfalles, eine kürzere oder längere Reihe von Verhandlungen, die jede
für sich, ferner im Verhältnisse zu einander und demnächst in ihrem
Einslusse auf das im Urtheil festzustellende Gesammtergebniß zu prüfen
und zu würdigen sind. Die prüfende Thätigkeit des Urtheilers hat zur
nothwendigen Voraussetzung eine Sonderung und Gliederung des Streit-
materials, die sich bei einfacher Sachlage fast unbewußt vollzieht, in com-
plicirterem Falle deutlicher zur Erscheinung kommt, niemals ausbleiben kann;
Sonderung, Gliedernng, zuletzt Zusammenfassung der Einzelergebnisse sind
unerläßliche Stadien der richterlichen Thätigkeit bei der Urtheilsfällung.
Aber eine gleichartige Thätigkeit üben auch die Parteien aus, weil
sie bei jeder einzelnen Handlung und Verhandlung über Vedeutung und