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Sechstes Hauptstück.
wahre Muster der Eleganz und des Stils, gegenüber den plumpen
modernen Glaschleifereien aus schwerfälligem Bleiglas.1
Das Vaterland der modernen geschliffenen Waare ist Böhmen,
wo sie seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts gemacht wird. Ge-
schickte Steinschneider wurden aus Italien und Deutschland be-
rufen, die in diesem Glase 2 die dünnen und zierlichen Bergkrystall-
vasen nachahmten. Manche dieser älteren Glaskrystalle, mit rei-
chen Intaglios geziert, sind meisterhaft komponirt, gezeichnet
und ausgeführt. Sie gehören sämmtlich dem kecken waghäl-
sigen Glasstile an, der erst in neuester Zeit von England aus
dem kompakten Platz machen musste. 3 Dieser mag prakti-
scher sein (was noch zu beweisen ist), aber er steht in formaler
Durchbildung bis jetzt hinter allem, was jemals aus Glas oder
sonst aus harten Stoffen geschnitten ward, weit zurück. Das Fa-
cettiren und die Polygonbildungen sind die hauptsächlichsten deko-
rativen Hülfsmittel des englischen Glasstiles.
Wie Eleganz und dekorativer Reichthum mit kompakter ächt
lapidarischer Gestaltung vereinbar sind, darüber geben die ge-
schliffenen Erdwaaren und noch weit lauter sprechend die gewal-
tigen Granitkolosse, ja selbst die Monumente, Aegyptens die beste
Auskunft.
2) Der G1asguss.
Schon die Aegypter gossen aus durchsichtigem gefärbtem Glase
Skarabäen, Glaskugeln, Amulette und Figurinen. Minutoli besass
unter anderen derartigen Gegenständen in seiner Sammlung ein
Amulet von blauem durchsichtigem Glase. 4 Auch diente dieses Ver-
1 Man hat die Bekanntschaft der Alten mit den stagnolbelegten Glasspie-
geln in Zweifel gezogen, da doch dergl. an sehr alten ägyptischen Statuen
schon vorkommen (Mus. von Turin). Der sogenannte Spiegel des Virgil, aus
Flintglas, mit der Hälfte seines Gewichts an Bleioxydgehalt, war Theil des
Schatzes von St. Denis, und zwar seit der Gründung des letztern, zu einer
Zeit, wie die Spiegelfabrikation schon lange nicht mehr betrieben wurde.
2 Das böhmische Glas ist von ausgezeichneter Reinheit und merkwürdig
durch sein geringes spezifisches Gewicht. Es besteht aus 100 Theilen Quarz,
10 Theilen Kalk und 30 Theilen kohlensaurer Potasche, ohne Bleigehalt.
3 Die dunkle Tradition des alten Stils hat sich noch immer einigermassen
erhalten, was der böhmischen Glaswaafe ihren Reiz sichert; man sollte sie
rein halten und pflegen, statt fremde Grundsätze damit zu vermischen,
4 Minutoli S. 8.
Sechstes Hauptstück.
wahre Muster der Eleganz und des Stils, gegenüber den plumpen
modernen Glaschleifereien aus schwerfälligem Bleiglas.1
Das Vaterland der modernen geschliffenen Waare ist Böhmen,
wo sie seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts gemacht wird. Ge-
schickte Steinschneider wurden aus Italien und Deutschland be-
rufen, die in diesem Glase 2 die dünnen und zierlichen Bergkrystall-
vasen nachahmten. Manche dieser älteren Glaskrystalle, mit rei-
chen Intaglios geziert, sind meisterhaft komponirt, gezeichnet
und ausgeführt. Sie gehören sämmtlich dem kecken waghäl-
sigen Glasstile an, der erst in neuester Zeit von England aus
dem kompakten Platz machen musste. 3 Dieser mag prakti-
scher sein (was noch zu beweisen ist), aber er steht in formaler
Durchbildung bis jetzt hinter allem, was jemals aus Glas oder
sonst aus harten Stoffen geschnitten ward, weit zurück. Das Fa-
cettiren und die Polygonbildungen sind die hauptsächlichsten deko-
rativen Hülfsmittel des englischen Glasstiles.
Wie Eleganz und dekorativer Reichthum mit kompakter ächt
lapidarischer Gestaltung vereinbar sind, darüber geben die ge-
schliffenen Erdwaaren und noch weit lauter sprechend die gewal-
tigen Granitkolosse, ja selbst die Monumente, Aegyptens die beste
Auskunft.
2) Der G1asguss.
Schon die Aegypter gossen aus durchsichtigem gefärbtem Glase
Skarabäen, Glaskugeln, Amulette und Figurinen. Minutoli besass
unter anderen derartigen Gegenständen in seiner Sammlung ein
Amulet von blauem durchsichtigem Glase. 4 Auch diente dieses Ver-
1 Man hat die Bekanntschaft der Alten mit den stagnolbelegten Glasspie-
geln in Zweifel gezogen, da doch dergl. an sehr alten ägyptischen Statuen
schon vorkommen (Mus. von Turin). Der sogenannte Spiegel des Virgil, aus
Flintglas, mit der Hälfte seines Gewichts an Bleioxydgehalt, war Theil des
Schatzes von St. Denis, und zwar seit der Gründung des letztern, zu einer
Zeit, wie die Spiegelfabrikation schon lange nicht mehr betrieben wurde.
2 Das böhmische Glas ist von ausgezeichneter Reinheit und merkwürdig
durch sein geringes spezifisches Gewicht. Es besteht aus 100 Theilen Quarz,
10 Theilen Kalk und 30 Theilen kohlensaurer Potasche, ohne Bleigehalt.
3 Die dunkle Tradition des alten Stils hat sich noch immer einigermassen
erhalten, was der böhmischen Glaswaafe ihren Reiz sichert; man sollte sie
rein halten und pflegen, statt fremde Grundsätze damit zu vermischen,
4 Minutoli S. 8.